Unheimlich gut vernetzt


Young Global Leaders Vom Eindringen in Regierungen und was daraus folgt.

Trau, schau, wem! (Spruchweisheit aus dem antiken Rom, «Vide cui fidas»)

Klaus Schwab muss später gewünscht haben, er hätte dieses Gespräch nie geführt – oder wenigstens nicht in dieser Form. Der Gründer des World Economic Forum (WEF) befand sich am 20. September 2017 in freundlich gesinnter Umgebung. Er war eingeladen worden, an der Harvard Kennedy School die Malcolm H. Wiener Vorlesung über internationale politische Ökonomie mit dem Titel «Stärkung der Zusammenarbeit in einer zerrissenen Welt» zu halten. Yo-Yo Ma hatte für eine musikalische Einleitung auf höchstem Niveau gesorgt. Anstelle einer Vorlesung wollte Schwab sich lieber auf der Bühne mit einem Professor der Harvard-Universität, David Gergen, unterhalten. Gergen kam auf die Young Global Leaders (YGL) zu sprechen. Dieses Netzwerk hoffnungsvoller Führungskräfte hatte Schwab zunächst 1993 unter dem Namen Global Leaders for Tomorrow (GLT) gegründet und 2004 umbenannt. Die Aufzeichnung lief und die Harvard-Universität würde sie am 2. Oktober 2017 ins Internet stellen. Bei Minute 17 beginnt eine Sequenz, die im Januar 2022 auf YouTube landen sollte. Nach 45 Sekunden kommt Gergen zur Sache. Es gäbe zwei Länder auf der Welt, in denen die YGL nun sehr viel Einfluss hätten. Schwab solle doch dazu etwas sagen. Der gehört nicht zu den Schüchternen. Die Strategie, junge Führungskräfte zu integrieren, sei Teil des WEF seit vielen Jahren. Wenn er nun Namen nenne, Angela Merkel und sogar Wladimir Putin, so seien sie alle Young Global Leaders des WEF gewesen. Worauf das WEF aber nun sehr stolz sei, sei die junge Generation, der kanadische Premierminister Trudeau, der Präsident von Argentinien, «dass wir nun in die Regierungen eindringen.» Im englischen Original sagt Schwab «that we penetrate the cabinets» – ein Hauch toxischer Männlichkeit liegt in der Luft. Gestern sei er, Schwab, auf einem Empfang des kanadischen Premierministers Trudeau gewesen. Er wisse, dass die Hälfte von dessen Kabinett, tatsächlich mehr als die Hälfte, Young Global Leaders des WEF seien. Gergen sekundiert. Das träfe doch auch auf Argentinien zu. Schwab bestätigt das. Es gälte auch für Frankreich.

Zusammen mit Schwabs Buch «The Great Reset», das im Sommer 2020 erschien und die Covid-19-Pandemie als Anlass für eine Neuordnung der Wirtschaft und Politik darstellte, waren damit alle Ingredenzien für eine Verschwörungstheorie bereitgestellt. Hier gehe ich der Frage nach, ob die Faktenfinder Recht haben, nach denen nichts, aber auch gar nichts an dieser Verschwörungstheorie dran ist.

Zunächst einmal lässt sich nicht gegenrecherchieren, dass Angela Merkel und Wladimir Putin jemals zu den YGL beziehungsweise den GLT gehörten. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass Schwab auch diese aufstrebenden Politiker 1993 ansprach, als er in Ungarn Viktor Orban, in Großbritannien Tony Blair und in Deutschland Wolfgang Kubicki rekrutierte. Diese letzteren Drei finden sich in einer aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengestellten Liste von GLT- und YGL-Mitgliedern. Bei Merkel und Putin gibt es keinen Beleg. Trudeau findet sich, wie Sebastian Kurz, noch im französischen Wikipedia-Artikel zu den YGL. Macron listet das WEF selbst noch als Alumnus des YGL-Programms auf, wie auch Jens Spahn. Ein anderer ehemaliger deutscher Gesundheitsminister, Philipp Rösler, wurde 2010 kurz nach seiner Amtsübernahme in die YGL aufgenommen und nach dem Amtsverlust als Vizekanzler und Wirtschaftsminister infolge der Bundestagswahl 2013 von Schwab in den WEF-Vorstand geholt.

Dass die deutsche Außenministerin und ehemalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zu den YGL gehört, weiß ihre Wikipedia-Seite, nicht aber die aktuelle Mitgliederliste des WEF. Falls Baerbock nicht ausgetreten ist, scheint hier eine Amnesie vorzuliegen, denn bei ihrer Berufung 2020 bis 2025 wusste das WEF noch Bescheid. Baerbocks Team wusste es 2021 vor der Bundestagswahl bei der Antwort auf eine Anfrage von Abeordneten-Watch auch noch.

Was Putin betrifft, haben wir nur Schwabs Wort. Das YGL-Programm hatte jedenfalls auch 2010 noch keine Berührungsängste mit Russland, als es den damaligen stellvertretenden Minister für ökonomische Entwicklung der Russischen Föderation, Stanislav Voskresenky, aufnahm. Diese etwas bunte Schar von Politikern, die sich hinterher sehr unterschiedlich entwickelten, wirft die Frage auf, wie man eigentlich zum YGL-Mitglied wird.

Ein Ruf erschallt, wer weiß woher?

Die etwas magere (darauf komme ich zurück) englische Wikipedia-Seite zu den YGL, sagt nur in groben Zügen, wie man in den illustren Kreis aufgenommen wird. Man könne von ehemaligen Mitgliedern für sechs Jahre nominiert werden, es gäbe aber eine Vetomöglichkeit. Der Auswahlprozess beinhalte ein Interview. Geht man dem Link nach, so erfährt man auf der Seite des WEF, dass das Interview nur eine Kann-Bestimmung ist. Auch Bewerbungsunterlagen werden nach einer Nominierung nur in gewissen Fällen angefragt. Wie die Wikipedia weiß, kann man auch aufgenommen werden, ohne dass man vorher gefragt wird. Das ist zum Beispiel der Kandidatin bei den letzten Vorwahlen der Demokraten für die US-Präsidentschaft, Tulsi Gabbard, passiert. Sie hat abgelehnt.

Auf der WEF-Seite erfährt man auch, wer das Veto-Recht bezüglich der Nominierungen hat. Es ist – das WEF. Wer in diesem Sinne «das WEF» ist, bleibt jedoch unklar. Die Wikipedia bezeichnet es als eine Lobbyorganisation multinationaler Konzerne. Es seien 1000 Firmen Mitglieder. Auf der Webseite des WEF konnte ich nicht eruieren, wer das WEF tatsächlich ist. Die Selbstbeschreibung lautet: «Das Weltwirtschaftsforum ist die internationale Organisation für öffentlich-private Zusammenarbeit.» Das klingt etwas vornehmer als «Lobbyorganisation», besagt aber nichts Anderes. Diese Lobbyorganisation ist in Regierungen eingedrungen.

Nicht jede und jeder kann für die YGL nominiert werden. Wer in einer Firma arbeitet, muss es schon bis zum Top-Manager gebracht haben. Gründer oder Chefs von Start-Up-Firmen können aufgenommen werden, wenn es eine Top-Firma ist. Für Politiker gilt: «Im öffentlichen Sektor sollten Regierungsvertreter Minister, Parlamentsmitglieder, Bürgermeister von Hauptstädten oder bevölkerungsreichen Städten, Gouverneure oder Vorsitzende politischer Parteien sein.» Man trifft sich.

Die Aufnahmekriterien werden nicht ganz so eng gehandhabt. Der norwegische Kronprinz sowie die norwegische und die schwedische Kronprinzessin wurden berufen, obwohl ihre Funktion nicht ganz der Definition entspricht. Die Tochter des WEF-Gründers, Nicole Schwab, ist auch eine global aufstrebende Führungskraft. Schließlich gehört sie auch zum Exekutivkomitee des WEF.

Top-Journalisten gehen dann, wenn sie potentiell die Agenda des WEF voranbringen können: «Bei den Medien sollten die Kandidaten Chefredakteure, Verleger, Journalisten oder Social-Media-Influencer sein, die einen klaren Fokus auf Themen des öffentlichen Interesses haben.» Sandra Maischberger zum Beispiel hat es geschafft. Matthias Döpfner war 2001 Mitglied der GLT. Gewerkschaftsführer sind hingegen nicht zugelassen. Schwab ist der Proponent des Stakeholder-Kapitalismus. In diesem Konzept werden die Interessen der Arbeitenden von den Firmen und Politikern gewahrt. Spezielle Arbeitervertreter sind nur hinderlich. Ich werde mich hüten, nach historischen Parallelen zu suchen.

Es gibt auch dekorative Elemente, wie etwa Professoren, Künstler und Sportler. Die Chance, es auf diesen Gebieten zum YGL zu bringen, sind jedoch gering. Ich habe die offizielle Liste der jetzigen Mitglieder durchgeblättert, um zu eruieren, wer statistisch die besten Chance hat. Die Funktion eines Partners bei einer der Unternehmensberatungen McKinsey oder Boston Consulting Group scheint die beste Ausgangspoistion zu sein. Auch eine Bankkarriere empfiehlt sich, gefolgt von einer Karriere bei einer großen Versicherung oder Rückversicherung. Als Top-Manager hat man die besten Chancen, wenn man in einem Tech-Unternehmen arbeitet, am Besten bei einer Suchmaschine (beide Google-Gründer) oder einer Social Media Plattform (unter anderen Zuckerberg).

Nach den gegenwärtigen Regeln darf man bei der Berufung nicht älter sein als 38 Jahre. Es sollte noch Aufstiegspotential geben und viel Zeit, um der Agenda des WEF zu dienen.

Lohnt das überhaupt?

Jährlich werden 100 bis 200 neue Mitglieder in die YGL aufgenommen. Die offizielle Mitgliederliste umfasst gegenwärtig 1365 Personen. Was haben sie davon und was hat das WEF davon? Für die Mitglieder bringt es Prestige und ein Netzwerk. Darüber hinaus ist nicht so klar, was eine Mitgliedschaft bedeutet. Es gibt Treffen oder Kurse, zum Beispiel an der Harvard-Universität. Will man mehr wissen, muss man schon etwas hartnäckiger recherchieren. The Forum of Young Global Leaders ist ein Verein nach Schweizer Recht. Es muss daher jährlich grob über seine Finanzen und Aktivitäten berichten. YGL tut das, sehr knapp. Man muss ein wenig suchen, um diese Berichte zu finden. Sie finden sich unter «Vision & Mission» ganz unten auf der Seite.

Der Bericht 2020/21 gab 505 aktuelle YGL-Mitglieder und 739 Ehemalige (Alumni) an. Davon kommen 58% aus Firmen, 11% sind «öffentliche Persönlichkeiten» (Politiker), 13% gehören zur «Zivilgesellschaft», 9% gehören zu akademischen Denkfabriken, 4% sind «soziale Unternehmer» und 3% aus den Medien. Kunst, Kultur und Sport machen weitere 3% aus. Am 19. Februar 2021 durften die aktuellen YGLs Christine Largarde treffen (Präsidentin der Europäischen Zentralbank) und am 4. März Jane Goodall (die Frau mit den Schimpansen). Das Modul an der Harvard-Universität fand vom 25. März bis 1. April statt. Am 30. März gab es einen «virtuellen Tag der offenen Tür, um mehr zu erfahren und zu helfen die kollektiven Aktionsinitiativen unserer Gemeinschaft voranzutreiben». Vom 18.-21. Juli 2021 fand das Ausbildungsmodul an der Blavatnik School of Government an der Universität Oxford statt. Auf dieses Institut komme ich weiter unten noch einmal zu sprechen. Vom 1.-6. Oktober gab es dann ein «Gipfeltreffen» der YGL. Man trifft sich. Oft.

Was kostet das eigentlich? Diese interessante Information findet sich ziemlich am Ende des Berichts, auf Seite 24. Der Jahresetat betrug 3.520 Milliarden Schweizer Franken. Umgelegt auf 505 aktuelle Mitglieder des Programms sind das, nun ja, 7 Millionen Schweizer Franken je Mitglied, in einem Jahr. Das beantwortet die Frage, was sich die Mitgliedsfirmen des WEF eigentlich davon versprechen. Sehr viel.

Grade der Ungnade

Nachdem wir in groben Zügen wissen, wie jemand Mitglied der YGL wird und wie viel Geld dann in die Person investiert wird, stellt sich die Frage, ob man die Mitgliedschaft auch wieder verlieren kann. Die kurze Antwort ist, dass das sehr selten ist. Ein Karriereknick genügt nicht, auch dann nicht, wenn er selbst verschuldet ist. Sylvana Koch-Mehrin war Vizepräsidentin des EU-Parlaments, bis sie im Rahmen einer Plagiatsaffäre zurücktreten musste, ihren Doktortitel verlor und auch nicht vor Gericht zurück erstreiten konnte. Sie ist nunmehr Vorsitzende der Stiftung Women Political Leaders (und Mitgründerin derselben). Als solche wird sie jetzt beim YGF aufgeführt.

Izkia Siches hatte 2021 sogar den Exceptional Women of Excellence Award des WEF erhalten. Wir werden später sehen, warum. Sie wurde am 11. März 2022 Ministerin des Innern und für öffentliche Sicherheit in Chile, nachdem sie die Kampagne des erfolgreichen Präsidentschaftskandidaten geführt hatte. Ihre Popularität bei der indigenen Bevölkerung war nicht sehr hoch und im April erhob sie eine falsche Anschuldigung gegen die Vorgängerregierung. Ihre Zustimmungsrate in der Bevölkerung sank dramatisch. Am 6. September 2022 war ihre politische Karriere vorbei. Da sie noch keine vorzeigbare neue Position hat, ist sie auf der YGF-Seite nur mit ihrem Namen gelistet.

Man kann auch einfach Pech haben. Denis Morozov war 2018 bis Dezember(!) 2022 Präsident der Außenstelle der Bank of America Merrill Lynch’s in Russland. Diesen Posten gibt es nicht mehr. Auch er hat noch nichts Neues und ist nur mit seinem Namen aufgeführt. Hyun-gu Cho hatte das soziale Netzwerk Classting für die Interaktion von Lehrern und Schülern lanciert. Die Idee floppte. Er ist jetzt als «Digital member» aufgeführt. Das ist auch in anderen Fällen ein Euphemismus für «hat unsere Erwartungen nicht erfüllt».

Jemanden zu finden, der tatsächlich ausgeschlossen wurde, ist nicht ganz einfach. Gelungen ist mir das nur, weil ich zuerst die offizielle Liste und dann erst die ausführlichere Gesamtliste gelesen habe. Dabei fiel mir eine Person mit einer Funktion auf, die mir schon in der offiziellen Liste aufgefallen wäre, wenn sie dort enthalten gewesen wäre. Tigran Khudaverdyan war Vize-Chef der Yandex NV. Er wurde 2019 aufgenommen, müsste also noch aktuelles Mitglied sein. Yandex ist eine vor allem in Russland sehr populäre Alternative zu Google. Die Firma ist in den Niederlanden registriert. Khudaverdyan wurde im März 2022 als Individuum in eine EU-Sanktionsliste aufgenommen. Der Firma Yandex blieb das erspart, aber Khudaverdyan musste zurücktreten. Auf der YGL-Seite ist er so unsichtbar geworden, wie in den 1930er Jahren Mitglieder des Stalin’schen Politbüros auf Fotos aus den 1920er Jahren unsichtbar wurden.

Auch der 2005 aufgenommene ehemalige georgische Präsident Mikhail Saakaschwili scheint bei der YGF in Ungnade gefallen zu sein. Er hatte nach seinem Machtverlust in Georgien noch eine Gastrolle in der Ukraine als Gouverneur von Odessa gespielt, sich dort aber mit dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko überworfen und seine ukrainische Staatsbürgerschaft wieder verloren. Er verbüßt gegenwärtig eine Haftstrafe in Georgien.

Die spielen doch nur?

Eine Freimaurerloge sind die YGL sicher nicht. So mancher hat sich in andere Richtung entwickelt als erwünscht. Andere mögen zwar nicht auf Konfrontationskurs gegangen sein, vertreten aber doch nicht mit Nachdruck die Agenda des WEF. Wird für die YGL vielleicht viel Geld zum Fenster hinausgeworfen, ohne dass es den Geldgebern etwas bringt?

In der offiziellen Liste fiel mir Aaron Maniam ins Auge, der dort als Forscher aufgeführt wird und in der Wikipedia als Poet. Nicht, dass ich ihn in einer dieser Funktionen gekannt hätte. Es ist der oben bereits erwähnten Blavatnik School of Government der Universität Oxford zugeordnet. Mir ist diese Institution im Mai 2020 im Zusammenhang mit Regierungsmaßnahmen in der Covid-Pandemie ins Auge gefallen. Am 16. Mai 2020 habe ich sie im Blogbeitrag «Über die Strenge geschlagen» auf freitag.de erstmals erwähnt. Die Blavatnik School hat den Oxford-Strenge-Index zu Covid-19-Maßnahmen von Regierungen entwickelt, der offiziell Oxford COVID-19 Government Response Tracker hieß. Maniam hat an dieser Institution am 5. August 2020 in einem Vortrag die «Sprache der Covid-19 Pandemie» diskutiert. Sicher nur ein Zufall, dass die meisten Videos auf der WEF-Webseite zum «Great Reset» vom August 2020 stammen.

Zufall ist vermutlich auch, dass Vasuda Vats, Vizepräsidentin von Pfizer, 2021 in die YGL aufgenommen wurde. Ebenfalls 2021 aufgenommen wurde die oben bereits erwähnte Izkia Siches. Sie hatte im Dezember 2020 knapp (51.78%) die Wiederwahl zur Präsidentin der Chilenischen Medizinischen Hochschule gewonnen. Zufällig schlug sie am 14. Juni 2021 in dieser Funktion einen totalen Covid-Lockdown für Chile vor. Im Nachbarland Argentinien hatte es bis zum 31. Mai 2021 bereits 119 Tage strengen Lockdown, weitere 304 Tage eines etwas weniger restriktiven Lockdown und 35 Tage Ausgangssperre gegeben. Dort wurde die restriktivste Covid-19-Politik weltweit verfolgt. Zufällig ist Argentinien unter den Ländern, bei denen Schwab von einer Durchdringung der Regierung sprach. Die beiden anderen Länder, die Schwab in diesem Zusammenhang erwähnte, sind Kanada und Frankreich. Zufällig taten sich auch diese Länder durch eine sehr restriktive Covid-19-Politik hervor.

Wenn Zufälle überhandnehmen, vermutet ein Wissenschaftler Korrelation. Ob sie vorliegt, lässt sich mit Methoden der Statistik untersuchen. Bezüglich der YGL und der Schwere der Covid-19-Interventionen liegt eine solche, öffentlich zugängliche Studie vor. Die Autoren haben den Government Response Severity Index (GRSI) mit der Zahl von YGL-Mitgliedern in einem Land korreliert. Sowohl für die absolute Zahl von YGL-Mitgliedern (Tabelle 2 des Artikels) als auch für die auf 100’000 Einwohner normierte Zahl (Tabelle 4) ergibt sich das folgende Bild. In der Periode vom 1. März 2020 bis 30. April 2020 ist keine signifikante Korrelation feststellbar. Damals gingen fast alle Länder sehr strikt vor. In der Periode vom 1. Dezember 2020 bis zum 31. Januar 2021, in die auch der deutsche Leopoldina-Lockdown fällt, ist die Korrelation hoch signifikant. Auch für die Periode vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Januar 2021 ist die Korrelation signifikant. Korrelation bedeutet nicht unbedingt Kausalität. Hoch signifikante Korrelation schließt jedoch Zufall praktisch aus und signifikante Korrelation macht Zufall sehr unwahrscheinlich.

Wieviel weiß Wikipedia?

Wie bereits oben angedeutet, ist der englische Wikipedia-Artikel Young Global Leaders angesichts des Einflusses und Jahresumsatzes der Organisation erstaunlich kurz und inhaltsarm. In der deutschen Wikipedia findet sich die Organisation als Unterpunkt des Artikels zum WEF, wo gleich vier ehemalige deutsche Gesundheitsminister (Andrea Fischer, Daniel Bahr, Philipp Rösler, Jens Spahn) als Mitglieder aufgeführt werden. Fischer konnte ich nicht gegenrecherchieren. Daniel Bahr wurde laut seiner Wikipedia-Seite 2012 berufen, während seiner Amtszeit als Gesundheitsminister. Er ist jetzt im Vorstand der Allianz Private Krankenversicherung. Auf der deutschen Wikipedia-Seite zum WEF werden auch die ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (gegenrecherchiert, Aufnahme GLT 1995) und José Manuel Barroso (gegenrecherchiert, Aufnahme GLT 1993) als YGL-Mitglieder aufgeführt.

Auf der englischen Wikipedia-Seite zum WEF ist der YGL-Abschnitt sehr kurz und auf der Seite zu den YGL selbst finden sich fast keine Mitgliedernamen. Das war nicht immer so. Am 24. November 2022 nominierte Ganesha811 diese Seite für die Löschung. Die Seite war damals noch länger und enthielt Mitgliedernamen, beispielsweise denjenigen des argentinischen Finanzministers von Dezember 2019 bis Juli 2022, Martín Guzmán, der ebenfalls 2021 während der Covid-19-Pandemie berufen wurde. Der Wikipedia-Artikel enthielt auch einen Abschnitt zu Kontroversen. Am 27. Oktober löschte drmies den größten Teil des Abschnitts zu Kontroversen mit der Bemerkung, zu vieles darunter sei durch YouTube-Material verifiziert. Er löschte zudem die gesamte Liste von Mitgliedern mit der Bemerkung «Sehr schlecht geprüfter Artikel: dieses Namedropping ist völlig übertrieben». Der Wikipedia-Editor und Administrator drmies ist Michel Aaij, ein Professor für Englisch und Philosophie an der Auburn University, Montgomery. Am 20. Dezember 2022 wurde der Abschnitt zu Kontroversen von 204.40.130.134 komplett entfernt. Was dort stünde, sei in keiner Weise kontrovers.

Wer zu absurden Verschwörungstheorien neigt, könnte nun vermuten, der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales wäre Mitglied der YGL. Das wäre zufällig sogar nahezu korrekt, denn Wales wurde 2007 in die YGL berufen. Er ist aber nicht der Gründer der Wikipedia. Das Wiki-Konzept stammt von Larry Sanger, der auch Mitgründer der Wikipedia war. Wales hatte 2005 seinen eigenen biographischen Artikel in der Wikipedia überarbeitet, um diesen Fakt zu verschleiern. Das ging schief. Er gilt auf seiner Wikipedia-Seite noch immer als Mitgründer und nicht als alleiniger Gründer. Unser hypothetischer Verschwörungstheoretiker könnte als Entschuldigung anführen, dass Wales auf der Mitgliederseite der YGL einfach nur als «Gründer» der wikipedia.org bezeichnet wird.

Fazit

Bei den Young Global Leaders handelt es sich um einen Kreis potentiell einflussreicher Personen hauptsächlich aus Wirtschaft, Politik und Medien. Die MItglieder werden auf undurchsichtige Weise ausgewählt. Ihre Zusammenkünfte werden auf undurchsichtige Weise sehr großzügig finanziert. Die einzelnen Mitglieder engagieren sich mehr oder weniger für die Agenda des World Economic Forum. Nicht alle lassen sich vereinnahmen. Nicht alle werden vor der Aufnahme auch nur gefragt, ob sie dazugehören möchten. Untersuchungen zu Regierungsmaßnahmen während der Covid-19-Pandemie legen nahe, dass diejenigen, die engagiert mittun, erheblichen Einfluss im Sinne des WEF auf die Politik ihrer Länder ausüben.


9 Antworten zu “Unheimlich gut vernetzt”

  1. Sie haben sich recht viel Arbeit gemacht. Danke dafür. Würde das gerne auch anderswo lesen. Vielleicht ist das aber für Journalisten ein zu heißes Eisen um ausführlich darüber zu schreiben.

  2. Klaus Schwab wird ja bestimmt sein prestige-club geldlich verwerten können – ein bekanntes stichwort aus der ttip-verhandlung: regulatorische zusammenarbeit, pay2play kommt mir aber auch in den sinn 😉

    dahinter steckt aber der kapitalismus der gierigsten art, das streben nach monopolen, da braucht man willige helfer in den regierungen oder hab ich was übersehen/ausgelassen?

    YGL hatte aber kleine vorläufer – die cia hat in den 50-80er ja auch kongresse für kulturellen/literarischen austausch anonym finanziert/initiert.
    sofern ich weiss, wurde dies auch nicht grossartig aufgearbeitet, die schreiberlinge und künstler der zielländer wurden auch nicht radikalisiert/aufgestachelt, dies war eher werbung für freiheit, demokratie und handel.

    kann ich ergänzen, der kalte krieg hat wohl nie aufgehört oder ist dies alles nur ein sichtbares symptom für den oberen machtkampf?

  3. Nicht auf den Artikel bezogen, mehr allgemein betrachtet: Es gibt ein Problem mit der Bezeichnung Verschwörungstheorie.
    Ich mag das Wort eigentlich nicht, es ist verbrannt. Dadurch, daß man jedem Deppen eine Plattform bot und viele gleich hinterherliefen hat sich die Bezeichnung verändert und steht heute für blanken Unsinn.
    Und das, obwohl es viele tatsächliche Verschwörungen, Kartelle usw gab und gibt.
    Der Vorteil für tatsächliche «Verschwörer» ist, je mehr Unsinn auf dem Markt ist umso mehr sind sie unter dem Radar.
    Eine Fokusierung und Aufarbeitung der echten Machenschaften findet kaum noch statt.
    Selbst wenn etwas die Oberfläche erreicht und in der Presse landet ist es bald vergessen.
    Dubiose Machenschaften haben es relativ leicht, sind auch häufig so intransparent, daß sich viele aufgrund der Komplexität gar nicht erst damit beschäftigen wollen. Die Erfolgsaussichten sind auch relativ gering.
    Dazu müßte Politik und Presse stärker am Ball bleiben.

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