100 Tage Gegenoffensive – Eine Bilanz


Der 11. September war der hunderste Tag der ukrainischen Gegenoffensive, die selbst nach Meinung westlicher Experten langsam verläuft. Hier gehe ich der Frage nach, ob mit einer langsamen Offensive langfristig strategische Erfolge erreicht werden können.

Offensive mit Ansage

Als die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive im Herbst 2022 im Schlamm steckenblieb und mangels Reserven und Ausrüstung in der Frostperiode nicht wiederaufgenommen werden konnte, kündigten ukrainische Politiker und Militärs zur Befeuerung des Durchhaltewillens der Bevölkerung in einem entbehrungsreichen Winter eine große Gegenoffensive im Frühjahr an. Die von der russischen Seite initiierten Kämpfe im Raum Bachmut verlangsamten den Aufbau von Reserven, hatten einen hohen Verbrauch an Artilleriemunition und hohe Verluste an Personal und Material zur Folge und banden bis in den Mai eine erhebliche Zahl kampfstarker ukrainischer Truppenteile. Zudem trocknete nach der Frühjahrsschlammperiode der Boden nur langsam ab. Der meterologische Sommeranfang (1. Juni) kam und die Offensive hatte noch nicht begonnen.

Derweil wurde in aller Offenheit die Hauptstoßrichtung diskutiert. Die ukrainischen Truppen sollten in der Region Saporischschija zum Schwarzen Meer durchbrechen, dadurch die russischen Truppen im Süden in zwei Teilfronten spalten und danach den russischen Landzugang zur Krim blockieren. Diese strategische Idee war so offensichtlich, dass die russische Seite sie auch ohne Ansage erwartet hätte. Sie nutzte den gesamten Winter und das Frühjahr, um gestaffelte Verteidigungslinien aufzubauen und die Truppen auf eine flexible Verteidigung vorzubereiten. Sie tat das auch an anderen Frontabschnitten, aber nirgends mit solchen Aufwand wie in der erwarteten ukrainischen Hauptstoßrichtung.

Die ukrainische Gegenoffensive begann nach Angaben beider Seiten am 4. Juni. Das war ein Zeitpunkt, auf den sich die russische Seite gut hatte vorbereiten können, nämlich wenige Tage nach dem Fall von Bachmut. Die ukrainische Seite versuchte sich nicht in Ablenkungsangriffen oder einer überraschenden Stoßrichtung. Sie ließ kleine Truppenteile an genau zu erwartenden Frontabschnitten in die dort angelegten MInenfelder vorrücken – und war über die Minendichte erstaunt, an der westlichen Minenräumtechnik scheiterte. Die ukrainischen Verluste waren in Bezug zur Zahl der eingesetzten Truppen und gepanzerten Fahrzeuge anfangs verheerend. Wo die ukrainischen Truppen im Juni einen Durchbruch erzielten, funktionierte die flexible russische Verteidigung anfangs nahezu tadellos. Aus dem Rückraum herangeführte russische Reserven warfen die ukrainischen Kräfte nahezu auf ihre Ausgangspositionen zurück. Dabei machte die russische Seite an der Front von ihrer Luftüberlegenheit kaum Gebrauch. Die Verteidigungslinien waren so gut vorbereitet und die Minenfelder so effektiv, dass die Frontflieger geschont werden konnten.

Mit der Zeit gelang es kleineren ukrainischen Infanterieeinheiten, oft zu Fuß, in drei Abschnitten der Südfront die Minenfelder zu räumen und zu den ersten russischen Schützengräben und russisch besetzten Dörfern durchzubrechen. Es war eine lange Zeit. Ūber die ukrainischen Verluste in dieser Zeit wissen wir wenig. Bei dieser Art der Kriegführung erwartet man jedoch höhere Verluste der Seite, die sich in der Offensive befindet, sofern sie nicht zahlenmäßig oder in der Feuerkraft deutlich überlegen ist. Das ist hier nicht der Fall. Ein solcher Abnutzungskrieg nutzt selbst bei ähnlich hohen Verlusten derjenigen Seite, die mehr Resourcen hat. Das ist Russland.

Ergebnisse der Gegenoffensive

Da das Verhältnis der russischen zu den ukrainischen Verlusten and Personal und Material sicher nicht höher ist als das Verhältnis im Mobilisierungspotential und in der Materialproduktion, lässt sich das Ergebnis der Gegenoffensive an den Frontverschiebungen messen. Dazu habe ich die Ūbersichtskarten des «Institute for the Study of War» (ISW) vom 3. Juni und 11. September 2023 miteinander verglichen. Diese Ūbersichtskarten werden täglich für vier nach Regionen bezeichnete Frontabschnitte veröffentlicht. Von Südwesten nach Nordosten sind das Cherson, Saporischschija, Donezk und Luhansk. Die gezeigten Karten sind jeweils diejenigen vom 11. September. Der Frontverlauf vom 3. Juni ist als gelbe Linie eingezeichnet. Zur besseren Sichtbarkeit habe ich Gebiete in ukrainischer Hand hellblau hinterlegt und russisches Territorium in einem satten Rotton. Wie beim ISW ist russisch besetztes ukrainisches Territorium blassrot eingefärbt, wobei es noch einmal zwei Farbtöne gibt. Eine etwas dunklere Schraffur bezeichnet Territorium, das bereits vor dem 24. Februar 2022 von Donbass-Separatisten besetzt war. Solches Territorium existiert nur in den Frontabschnitten Donezk und Luhansk. Außer im Raum Cherson tauchen auch das Schwarze Meer (grau) und die Krim (ebenfalls schraffiert) nicht auf. Der Maßstab ist in den ISW-Karten jeweils gekennzeichnet.

Frontverlauf im Raum Cherson am 11. September 2023 (eingefärbte Territorien) und rote Linie und am 3. Juni 2023 (gelbe Linie). Ukrainisches Territorium in ukrainischer Hand is blassblau hinterlegt, ukrainisches Territorium in russischer Hand blassrot. Die sichtbaren Teile der Krim sind rot schraffiert. Das schwarze Meer ist grau hinterlegt. Die scheinbare Frontverschiebung im Mittelteil resultiert ausschließlich aus der Ūberflutung von Territorium am Dnjepr nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni 2023. Quelle der Karten: Institute for the Study of War.

Im Raum Cherson (Bild oben) gibt es keine in diesem Maßstab sichtbaren Frontverschiebungen, die aus Kampfhandlungen während der Sommeroffensive 2023 der ukrainischen Streitkräfte resultieren. Die im Mittelteil sichtbare gelbe Linie bezeichnet Gelände, auf dem sich am 3. Juni noch russische Verteidigungsstellungen und Minenfelder befanden, das am 6. Juni nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms überflutet wurde und seitdem noch nicht abgetrocknet ist.

Frontverlauf im Raum Saporischschija am 11. September 2023 (eingefärbte Territorien und rote Linie) und am 3. Juni 2023 (gelbe Linie). Ukrainisches Territorium in ukrainischer Hand is blassblau hinterlegt, ukrainisches Territorium in russischer Hand blassrot. Quelle der Karten: Institute for the Study of War.

Die größten Frontverschiebungen gab es Raum Saporischschija (Bild oben). Von Westen nach Osten sind das: eine kleinere Verschiebung von wenigen Quadratkilometern zu ukrainischen Gunsten bei Kamianske, eine etwa 10 Kilometer breite und bis zu 10 Kilometer tiefe Einbuchtung bei Mala Tokmatschka und Robotyne, eine kleinere Verschiebung von wenigen Quadratkilometern zu russischen Gunsten bei Myrne und eine etwa 15 Kilometer breite und bis zu 10 Kilometer tiefe Verschiebung am rechten Bildrand, die wir weiter unten diskutieren, weil sie zum Teil bereits in der Region Donezk und in deren Kartenausschnitt vollständig zu sehen ist.

Die ersten drei Frontverschiebungen zusammen kann man etwa auf 75 bis 80 Quadratkilometer zu ukrainischen Gunsten schätzen. Von diesen ist einzig die Fronteinbuchtung bei Mala Tokmatschka und Robotyne von miltärischer Bedeutung. Aus der entsprechenden Karte bei militaryland.net (13. September 2023) wird ersichtlich, dass die ukrainischen Streitkräfte in diesem Raum bei Verbove auf etwa 5 Kilometer Breite die erste befestigte russische Verteidigungslinie durchbrochen haben. Ein Vergleich mit der Karte vom 2. September zeigt allerdings, dass der Durchbruch damals schon vollendet war und die Front dadurch nicht stärker in Bewegung gekommen ist. Ob die russischen Kräfte die Verteidigungsstellungen nach ihrem Fall Anfang September inzwischen zurückerobert haben, ohne dass die Karte das zeigt, sei dahingestellt. Wenn nicht, scheint jedenfalls der schmale Streifen südlich von diesen Stellungen nicht auszureichen, um die Offensive weiterzuentwickeln. Nach dem Durchbruch von Verbove hatten hohe ukrainische Militärs und westliche Militärexperten angekündigt, dass die ukrainische Offensive nun an Fahrt aufnehmen werde. Dieser Optimismus hat sich in den darauffolgenden zwei Wochen nicht bestätigt.

Frontverlauf im Raum Donezk am 11. September 2023 (eingefärbte Territorien und rote Linie) und am 3. Juni 2023 (gelbe Linie). Ukrainisches Territorium in ukrainischer Hand is blassblau hinterlegt, ukrainisches Territorium in russischer Hand blassrot. Bereits vor dem 24. Februar von Donbass-Separatisten gehaltenes Territorium ist rot schraffiert und russisches Staatsgebiet ist sattrot hinterlegt. Quelle der Karten: Institute for the Study of War.

Die größte Frontveränderung im Raum Donezk (Bild oben) ist die bereits weiter oben erwähnte Verschiebung nahe der Grenze zwischen den Regionen Saporischschija und Donzek auf einer Breite von etwa 20 Kilometern mit einer Tiefe von bis zu 10 Kilometern. Hier hat die ukrainische Seite eine zuvor zu russischen Gunsten bestehende Fronteinbuchtung beseitigt. Eine strategische Bedeutung ist für mich nicht ersichtlich. Wie die Karte bei militaryland.net zeigt, befindet sich die Frontlinie in diesem Raum noch etwa 15 Kilometer nördlich der ersten befestigten russischen Verteidigungslinie. Bis nach Mariupol am Asowschen Meer sind es von der Frontlinie noch etwa 100 Kilometer. Der territoriale Gewinn ist mit etwa 150 Quadratkilometer abzuschätzen.

Eine weitere Frontverschiebung um etwa 25 Quadratkilometer zu ukrainischen Gunsten hat es bei Konstyantynivka etwa 15 Kilometer südlich von Bachmut gegeben. Die ukrainische Seite spricht im Zusammenhang mit Kampfhandlungen bei Bachmut gern von einer geplanten Umzingelung der Stadt. Ich denke nicht, dass die bisherigen Ergebnisse der diesbezüglichen ukrainischen Bemühungen russische Generäle schlaflos machen.

Frontverlauf im Raum Luhansk am 11. September 2023 (eingefärbte Territorien und rote Linie) und am 3. Juni 2023 (gelbe Linie). Ukrainisches Territorium in ukrainischer Hand is blassblau hinterlegt, ukrainisches Territorium in russischer Hand blassrot. Bereits vor dem 24. Februar von Donbass-Separatisten gehaltenes Territorium ist rot schraffiert und russisches Staatsgebiet ist sattrot hinterlegt. Quelle der Karten: Institute for the Study of War.

Auf der Karte der Region Luhansk (Bild oben) ist die Frontverschiebung bei Konstyantynivka noch einmal abgebildet. Die beiden anderen Frontverschiebungen in dieser Region sind solche zu russischen Gunsten, 15 Kilometer südöstlich von Svatove und bei Kupyansk. Im Vergleich zu den anderen Karten wirken sie nicht so bedeutend, doch ist hier der Maßstab ein anderer. Südöstlich von Svatove sind es bis zu 5 Kilometer auf etwa 15 Kilometern Breite und bei Kupyansk etwa 5 Kilometer auf 20 Kilometern Breite. Ein strategisch bedeutsames Vorrücken der russischen Streitkräfte kann ich hier aber auch nicht erkennen. Das strategisch bedeutende Ziel wäre die Nord-Süd-Bahnlinie, die Kupyansk berührt und dann weiter über Oskil, Lyman und Siversk in Richtung Bachmut verläuft. Wenn die russische Seite weiter in diesem Tempo Boden gewinnt, wird sie die Bahnlinie irgendwann im nächsten Jahrhundert erreichen. Die gesamten russischen Gebietsgewinne im Raum Luhansk lassen sich auf 100 Quadratkilometer schätzen.

Netto ergibt sich nach meinen Schätzungen für die ersten 100 Tage der ukrainischen Sommeroffensive ein Gebietsgewinn von 155 Quadratkilometern. Lassen wir es 200 Quadratkilometer sein. Am 14. November 2022, nach dem Auslaufen der ukrainischen Herbstoffensive, hatte die «New York Times» den russisch besetzen Teil der Ukraine auf noch 18% beziffert. Wir vernachlässigen hier einmal die nicht sehr großen russischen Gebietsgewinne zwischen dem 14. November 2022 und dem 4. Juni 2023, obwohl diese vermutlich doch noch größer waren als 200 Quadratkilometer. Die Fläche der Ukraine beträgt 603’700 Quadratkilometer, 18% davon sind 108’666 Quadratkilometer. Die Sommeroffensive hat also in 100 Tagen etwa 0.18% des zu ihrem Anfang noch besetzten ukrainischen Territoriums befreit. Geht sie in diesem Tempo weiter, so werden die ukrainischen Kriegsziele nach weiteren 54’233 Tagen erreicht sein. Das sind 148 Jahre und 213 Tage.

Die Bedeutung des Zeitfaktors

Von westlicher Seite wird gern kolportiert, dass sich die ukrainische Offensive stark beschleunigen werden, wenn einmal die erste russische Verteidigungslinie durchbrochen sei. Wie wir oben gesehen haben, hat sich das bei Verbove nicht bewahrheitet. Es ist auch nicht wahrscheinlich, weil es mehrere befestigte Verteidigungslinien gibt und die russische Seite weiterhin Verteidigungsanlagen baut. Der letztere Punkt verdeutlicht die Bedeutung des Zeitfaktors. Das Tempo der ukrainischen Sommeroffensive 2023 dürfte die russischen Verteidigungsanlagen weniger stark abgenutzt haben, als sie weiter südlich verstärkt wurden. Russland muss es auf ein paar Kilometer Frontverschiebung nicht ankommen. Strategisch bedeutend ist die Landverbindung zur Krim. Ich sehe derzeit nicht, wie die ukrainische Seite diesen in den kommenden Jahren unterbrechen könnte.

Das geringe Tempo der ukrainischen Offensive hat neben den gut ausgebauten russischen Verteidigungsstellungen, den gut auf diese Kriegsphase vorbereiteten russischen Truppen und der russischen Luftüberlegenheit auch noch den Grund, dass die ukrainische Seite einen geringeren Teil ihrer kampfbereiten Truppen eingesetzt hat, als bei einer Offensive üblich ist und dass es an keinem Frontabschnitt eine lange Phase hochintensiver ukrainischer Angriffe gab. Die Reserven wurden auch nicht eingesetzt, um an anderen Frontabschnitten Ūberraschungsangriffe zu führen, vermutlich deshalb nicht, weil die russische Seite die gesamte Frontlinie hinreichend befestigt hat. Wenn die ukrainische Seite nach der Zeit der Weglosigkeit im Herbst oder auch erst im späten Frühjahr 2024 die Offensive in der gleichen Weise wiederaufnimmt, sind keine größeren Erfolge zu erwarten als in diesem Jahr, eher noch geringere.

Allerdings hat sich die ukrainische Führung aus guten Gründen entschieden, nach den ersten beiden verlustreichen Wochen Anfang Juni die Intensität der Offensive zu verringern. Mit einem schnellen Durchbruch war in keinem Fall zu rechnen und die ukrainische Wehrmoral ist lange nicht so gut, wie westliche Medien schreiben. Die ukrainische Führung muss vermeiden, dass breite Teile der Bevölkerung den Sinn dieses Kriegs in Frage stellen und deshalb müssen die Verluste erträglich bleiben. Mit erträglichen Verlusten wird man aber den eigenen Kriegszielen nicht wesentlich näherkommen.

Wohin soll das führen?

Die ukrainische Regierung führt diesen Krieg weiter und in der oben geschilderten Weise weiter, weil ihr nichts Anderes einfällt. Sie hat keinen Plan B und sie hat eigentlich auch keinen Plan A mehr, weil sie weiß, dass Plan A (Krieg bis zur Befreiung des ganzen Landes) illusorisch ist. Dieser Ideenmangel ist allerdings keine Frage fehlender Intelligenz oder fehlender Fantasie. Es gibt schlicht keine Alternative zur Weiterführung des Kriegs mit mittlerer Intensität. Neben der Frage der Verluste ist eine deutlich höhere Intensität auch nicht lange durchzuhalten und danach würde man eine russische Ggenoffensive riskieren. In jedem Fall würde die Ausweglosigkeit dann breiten Teilen der Bevölkerung bewusst. Umgekehrt ist eine deutliche Verringerung der Intensität aber auch nicht möglich, weil dann der Anschein nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre, dass man den eigenen Kriegszielen überhaupt noch näherkommt. Auch dann würde die Bevölkerung den Sinn des Kriegs und die Eignung der Regierung in Frage stellen.

Die ukrainische Regierung kann auch nicht in Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen eintreten. Wenn sie selbst dazu die Initiative ergreifen würde, gäbe sie angesichts des besetzten Territoriums von weiterhin 18% die eigene Schwäche öffentlich zu und wäre in einer sehr schlechten Verhandlungsposition. Auch dann würde die Bevölkerung nach all den Verlusten und Entbehrungen die Eignung der Regierung in Frage stellen.

Eigentlich führt die ukrainische nur noch einen Propagandakrieg um die Meinung der eigenen Bevölkerung, diesen jedoch mit Einsatz militärischer Mittel, um den Schein einer signifikanten Offensive aufrechtzuerhalten. Gleichermaßen führen die westlichen Regierungen die Unterstützung der Ukraine aus Propagandagründen weiter, weil auch deren Bevölkerungen die Eignung ihrer Regierungen (noch stärker als so schon) in Frage stellen würden, wenn das ganze bisherige Ukraine-Kriegs-Narrativ sichtlich zusammenbräche.

Dieses «Weiter so!» aus Propagandagründen kann auch nicht gut gehen. Man kann das Publikum nicht ewig mit ein paar Drohnen, die die russische Luftabwehr beschäftigen und gelegentlichen Zerstörungen eines russischen Luftverteidigungssystems oder Beschädigungen von Kriegsschiffen bei Laune halten. Der Krieg kostet Geld, wie jeder weiß, und für dieses Geld will man wenigstens Erfolge sehen, die einen Sieg wahrscheinlich machen.

Hier hat nur einer viel Zeit. Dieser Eine heißt Putin.

Anhang (18. September 2023, 6:45 Uhr)

Frontverlauf bei Klischtschijiwka. Der gelbe Pfeil weist auf den Ort. Eine Zangenbewegung gegen Bachmut selbst ist nicht erkennbar. Quelle der Karte: militaryland.net

86 Antworten zu “100 Tage Gegenoffensive – Eine Bilanz”

  1. Institute for the Study of War, gleiche Reihenfolge der Frontabschnitte wie in diesem Blogbeitrag:

    Cherson:

    Keine Frontbewegung.

    Saporischschija:

    Keine bestätigte Frontbewegung.

    Donetsk:

    «Hauptmann Ilja Jewlasch, erklärte, dass die ukrainischen Streitkräfte Klischtschiwka befreit hätten, und die ukrainischen Streitkräfte veröffentlichten im Laufe des Tages mehrere Videos aus Klischtschiwka, in denen sie erklärten, dass sie die Siedlung befreit hätten. Die ukrainischen Verkündigungen der Befreiung zeigen, dass die ukrainischen Streitkräfte frei in der Siedlung operieren.»

    «Zusätzliche geolokalisierte Aufnahmen, die am 16. September veröffentlicht wurden, zeigen, dass die ukrainischen Streitkräfte östlich von Orikhovo-Vasylivka (11 km nordwestlich von Bakhmut) Fortschritte gemacht haben.»

    «Aus den am 16. September veröffentlichten geografischen Aufnahmen geht hervor, dass die ukrainischen Streitkräfte östlich von Krasnohorivka (22 km südwestlich von Avdiivka) weitere Fortschritte gemacht haben.»

    Luhansk

    «Aus den am 17. September veröffentlichten geografischen Aufnahmen geht hervor, dass die russischen Streitkräfte südlich von Dibrova (5 km südwestlich von Kreminna) leicht vorgerückt sind.»

    militaryland.net (Jerome) hat wiederum keinen Sonntagsbericht. Die Seite scheint zu einer Wochenfrequenz (nur noch mittwochabends) der Berichte übergegangen zu sein.

  2. Die FAZ schreibt im Anriss ihrers Ukraine-Livetickers:

    «Mit der Eroberung des Dorf Klischtschijiwka droht Russland an der Front im Osten in die Zange genommen zu werden.»

    Das ist kompletter Unsinn, wie aus der Karte des Raums Bachmut ersichtlich ist, die ich als Anhang des Blogbeitrags eingefügt habe.

    Es gibt zwei militärische Gründe für die ukrainischen Angriffe in diesem Raum. Erstens sollen dort russische Truppen gebunden werden, damit diese nicht an die Südfront verlegt werden können. Zweitens soll verhindert werden, dass die russische Seite die von Majorsk über Kurdjumiwka und Klischtschijiwka nach Bachmut verlaufende Bahnlinie so weit sichert, dass sie als Nachschublinie genutzt werden kann. Diese Bahnlinie befindet sich allerdings an vielen Punkte direkt an der Front, so dass eine solche russische Nutzung ohnehin wenig Sinn ergäbe.

    Im Grunde geht es hier also darum, zu verhindern, dass die russische Seite ihren Erfolg in Bachmut weiter konsolidiert.

    • Tja der Zangengriff stand schon gestern spaetabends in den Schlagzeilen.

      Weiter faz:

      «Sie laufen nun Gefahr, vom Süden und vom Norden her in die Zange genommen zu werden.»

      Kann auch nichts erkennen, aber vielleicht fehlt’s uns da nur an Fantasie, das zu sehen. (Nichts gegen Jerome, aber die Karten vom ISW finde ich i. Allg. uebersichtlicher.)

      • «(Nichts gegen Jerome, aber die Karten vom ISW finde ich i. Allg. uebersichtlicher.)»

        Diejenigen vom ISW sind übersichtlicher, aber als ehemaliger Offizier finde ich die Karten von Jerome besser, weil sie mehr Details zur militärischen Lage enthalten (Verteidigungsstellungen, ungefähre Standorte militärischer Einheiten, zerstörte Brücken; Bahnlinien sind auch besser erkennbar). Die Pixelauflösung ist für den Detailreichtum allerdings nicht gut genug.

        Die entsprechende ISW-Karte zu Bachmut ist hier. Wer darin eine Zangenbewegung erkennt, sollte besser wegen seiner Halluzinationen einen Arzt aufsuchen.

  3. Donald Trump hatte mindestens in einem Punkt Recht. Die F-35 ist total stealthy, praktisch unsichtbar, ein echtes Tarnkappenflugzeug. In South Carolina spielt gerade eine F-35B Verstecken und nicht einmal das US-Militär kann sie wiederfinden.

    Sie war gerade auf Autopilot als der Pilot versehentlich den Schleudersitz auslöste. Vielleicht wolte sie in Georgia oder Florida nach dem Rechten sehen? Oder nach Kuba, eine Havanna rauchen? Aeltere Personen, wie ich, würden im Bermuda-Dreieck nach ihr suchen. Für einen Krim-Urlaub dürfte der Sprit nicht gereicht haben.

  4. Der faz.net-Ticker zur Ukraine wird immer besser:

    «Ukrainische Streitkräfte sprechen von Durchbruch bei Bachmut +++ Ukraine soll sieben Quadratkilometer in einer Woche zurückerobert haben.»

    Mensch, so viel. Das ist ja ein Quadratkilometer pro Tag. Da nur noch etwa 108’500 Quadratkilometer fehlen, wird die Ukraine in weniger als 300 Jahren befreit sein.

    • Na, na – rechnen Sie mal nicht linear. Irgendwann wird dat Ding exponentiell 😉

      In der Berliner Zeitung heisst es von ukrainischer Seite:

      «Seit Juni läuft eine groß angelegte Gegenoffensive der ukrainischen Armee zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete im Süden und Osten des Landes. Insgesamt hat Kiew eigenen Angaben zufolge seitdem 51 Quadratkilometer im Gebiet um Bachmut und rund 262 Quadratkilometer an der Südfront zurückerobert.»

      Das waeren dann schon mal ueber drei Quadratkilometer pro Tag.

      • «Insgesamt hat Kiew eigenen Angaben zufolge seitdem 51 Quadratkilometer im Gebiet um Bachmut und rund 262 Quadratkilometer an der Südfront zurückerobert.»

        Zieht man die russischen Eroberungen an anderen Stellen ab, ist das nicht weit von meinen Schätzungen entfernt.

        Der Trend war übrigens tatsächlich nicht linear. Die Geschwindigkeit hat abgenommen. Exponentiell ist vielleicht gar nicht so falsch, nur eben exponentiell abnehmend.

        • Zu den 7 Quadratkilometern bei Bachmut kommen nach Angaben der ukrainischen Verteidigungsministerin noch 5.2 Quadratkilometer im Süden (man beachte die Genauigkeit mit Nachkommastelle).

          Wenn wir mal ignorieren, dass die russische Seite währenddessen in der Region Luhansk vorgerückt ist, wird die Ukraine doch schon in 172 Jahren befreit sein, nicht erst in 300 Jahren. Ich bitte um Verzeihung.

        • Verstehe. Die Verluste an anderer Stelle kehrt man gern unter den Teppich.

          Ausserdem sind Ihre Schaetzungen natuerlich netto, was die «groß angelegte Gegenoffensive» noch mickriger erscheinen laesst als die ohnehin schon ausfaellt.

          Zudem habe ich den Eindruck, unsere Medien jubeln schon tagelang ueber den gleichen Durchbruch, der in Wirklichkeit noch gar nicht stattgefunden hat.

          • Habe auch schon länger diesen Eindruck. Wie izi schreibt, manche Portale betreiben Propaganda indem jeder m2 täglich gemeldet wird, Verluste aber unterschlagen.
            Außerdem sind die winzigen Geländegewinne für die Gesamtsituation eher marginal.
            Genauso ungewöhnlich, in einem Krieg Verletzte oder Tote einzeln in Artikeln zu melden. Das kennen wir weder vom Jemen, Irak, Afghanistan, usw.
            Damit soll eindeutig die Stimmung angeheizt werden und das trübt den Blick auf die Realität.
            Was die Presse nicht beachtet, der übliche Stil etwas rauf und runter zu schreiben hat in diesem Falle nachhaltige Folgen.
            Das sind keine Boulevard-Nachrichten die man so handhaben kann. Verantwortung und Presse kann man bald als gegensätzliche Begriffe werten.
            Ich würde sagen, es ist keine Bewegung auf beiden Seiten zu sehen, nur die «Abnutzung» schreitet voran. Wer den längeren Atem hat….

            • «Ich würde sagen, es ist keine Bewegung auf beiden Seiten zu sehen, nur die «Abnutzung» schreitet voran. Wer den längeren Atem hat…»

              Das ist in einem Abnutzungskrieg zwischen Seiten deutlich verschiedener Grösse halt in der Regel die grössere Seite.

              • Ich gehe davon aus, für einen Krieg werden verschiedene Ressourcen benötigt. Daher rechne ich damit, daß die ein oder andere der Ukraine ausgehen wird.
                Am Anfang lebt man von der Substanz, aber die geht nun mal langsam zur Neige. Waffen kommen zwar, aber die Soldaten mit guter Ausbildung werden weniger. Auch anderes Material für Instandsetzung von Infrastruktur muß beschafft werden und auch da könnten langsam die Leute knapp werden. Soldat oder Elektriker, beides gleichzeitig geht nicht.

          • «Zudem habe ich den Eindruck, unsere Medien jubeln schon tagelang ueber den gleichen Durchbruch, der in Wirklichkeit noch gar nicht stattgefunden hat.»

            Das hängt mit dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein statt. Aus diesem Anlass muss so getan werden, als ob die Fortsetzung des Krieges aussichtsreich wäre.

  5. ISW:

    Cherson:

    Keine Frontbewegungen.

    Saporischschija:

    «Die am 18. September veröffentlichten geografischen Aufnahmen zeigen, dass die ukrainischen Streitkräfte westlich von Verbove (18 km südöstlich von Orikhiv) vorrücken.»

    Donezk:

    «Die am 18. September veröffentlichten geografischen Aufnahmen zeigen, dass die russischen Streitkräfte nördlich von Avdiivka geringfügig vorrücken.»

    Luhansk:

    Keine Frontbewegungen.

  6. Und derweil legt die AfD weiter zu. Aktuelle Umfrage Mecklenburg-Vorpommern (Infratest-dimap):

    AfD 32% (INSA am 6.7.2023: 29%)
    SPD 23% (27%)
    CDU 18% (18%)
    Linke 8% (10%)
    Grüne 8% (6%)

    Dazu ist noch zu bemerken, dass die Grünen bei Infratest-dimap immer besser abschneiden als bei INSA.

    Das einzige ostdeutsche Flächenland, in dem die AfD noch nicht stärkste Partei ist und noch nicht über 30% liegt, ist Sachsen-Anhalt (CDU 31%, AfD 29%). Allerdings ist die letzte Umfrage da auch noch vom 27. Juni.

    USA, die beiden wahrscheinlichsten Präsidentschaftskandidaten:

    Missbilligung Bidens: 53.89%
    Billigung Bidens: 41.1%

    Unvorteilhafte Meinung über Trump: 55.3%
    Vorteilhafte Meinung über Trump: 40.9%

    Letzte drei Umfragen zum direkten Duell Trump/Biden:

    HarrisX/Harris Poll (13.-14.9.)
    Biden 40%, Trump 44%

    YouGov (12.-15.9.)
    Biden 49%, Trump 50%

    MorningConsult (15.-17.9.)
    Biden 42%, Trump 42%

    Und Haley hat zwar in den Vorwahlumfragen der Republikaner keine Chance, aber wenn jemand nach Biden gegen Haley fragt, gewinnt jeweils Haley.

  7. ISW:

    Cherson:

    Keine Frontverschiebung.

    Saporischschija:

    «Aus den am 18. September veröffentlichten geografischen Aufnahmen geht hervor, dass die ukrainischen Streitkräfte westlich von Verbove (18 km südöstlich von Orikhiv) vorrücken.»

    Donezk:

    Keine Froontbewegung.

    Luhansk:

    «Am 18. September veröffentlichte geografische Aufnahmen zeigen, dass sich die ukrainischen Streitkräfte aus dem Südwesten von Novoselivske (15 km nördlich von Svatove) zurückziehen, was darauf hindeutet, dass die ukrainischen Streitkräfte weiterhin in der Lage sind, die Außenbezirke der Siedlung zu erreichen.»

    • Gestern nicht viel von Jerome:

      Zaporizhzhia Front:

      «Ukrainische Truppen rückten vor und nahmen russische Schützengräben südlich von Robotyne ein. (Quelle)
      Die ukrainischen Truppen weiten langsam, aber sicher ihren Durchbruch östlich von Verbove aus. (Quelle)»

      Bakhmut Front:

      «Soldaten der ukrainischen 80. Luftangriffsbrigade, der Ljut-Angriffsbrigade und der 5. Angriffsbrigade haben Klischtschiwka befreit. (Quelle)
      Ukrainische Streitkräfte, namentlich die 3. Sturmbrigade, befreiten Andriiwka südlich von Bakhmut. (Quelle)
      Der ukrainische Generalstab meldet zurückgeschlagene Angriffe in der Umgebung von: Andriivka, Zaitseve»

      Donetsk Front

      «Russische Streitkräfte beschossen ukrainische Truppen am westlichen Stadtrand von Novomaiorske. Die Siedlung ist nun umstritten.»

      Vielleicht koennen Sie ja noch weiteres aus dessen Karten erkennen.

  8. Selenskyj hat vor der UN-Generalversammlung vor einem spärlich besetzten Saal geredet und hinterher nur von einem Teil der Anwesenden Beifall erhalten. Trotz einer psychologisch geschickt gewählten Schnittfolge (zuerst wurde eine kleine, dicht sitzende Gruppe klatschender Zuhörer gezeigt), wurde das in der Berichterstattung des ARD-Morgenmagazins deutlich, als dann die Kameraperspektive des ganzen Saals gezeigt wurde.

  9. Der Deutschlandfunk hat die UN-Generalversammlung ausführlicher behandelt. In der Debatte haben die Länder des globalen Südens die doppelten Standrads des Westens zum Thema gemacht.

    Dass westliche Staatschefs, darunter Olfa Scholz, in der Versammlung vor einer Friedenslösung durch Teilung der Ukraine gewarnt haben, kann nur bedeuten, dass andere Länder diese Lösung in der entstandenen Situation für angebracht halten.

    • Außer USA scheint es nur Verlierer zu geben.
      Westen-Probleme, NATO-Probleme, EU-Probleme, Bürger-Probleme, Ökonomie/Ökologie-Probleme, Nord/Süd-Probleme.
      Der Krieg hat massenhaft Problemfelder aufgerissen die den erhofften Gewinn bei weitem aufwiegen.
      Südliche Länder werden sich ihrer Macht langsam bewußter und lassen sich nicht mehr so einfach unter Druck setzen oder kaufen wie in der Vergangenheit. Für den Westen wird es komplizierter werden, wohl tatsächlich eine Zeitenwende.
      Es liegt sicher im Bereich des Möglichen, daß der Westen realisiert, daß er sich diesmal mit der NATO- und der Einflußausweitung verhoben hat und man versuchen wird, den Krieg irgendwie «loszuwerden».
      Berg-Karabach ist nun hinzugekommen, die allgemeinen Flüchtlingszahlen steigen. Berlin meldet, die Aufnahmekapazität für Flüchtlinge ist erschöpft, Lampedusa platzt aus allen Nähten.
      Man wird Ballast abwerfen müssen.
      Manche Verwerfungen werden erst mit einiger zeitlicher Verzögerung wirksam und insofern ist damit zu rechnen, daß es in verschiedenen Bereichen schwieriger werden wird.
      Wohnung, Energie, Inflation, Waren und Rohstoffe. Eine zeitlang kann man von der Substanz leben, mit Kniffen überbrücken. Wie der Privatmann seine Rücklagen angreifen kann um laufende Kosten zu decken. Es ist dann absehbar, wann diese Möglichkeit nicht mehr besteht und die Folgewirkung eintritt.
      Zum Beispiel der Erfolg der AFD. Aber es geht ja auch in andere Bereiche wie Bildung, Qualität von Waren, Abspecken von Standards usw.
      Die deutschen Zahlungen an die Ukraine sind nicht wirklich gigantisch, aber da die allgemeine Haushaltslage angespannt ist spielen auch solche Summen eine Rolle. Das wird immer schwerer zu vermitteln sein.
      Eine uneingeschränkte dauerhafte Kriegsbeteiligung wie von Baerbock und anderen verkündet wird es sicher nicht geben. Alleine schon dadurch, daß für andere Bereiche die Mittel fehlen und ja regelmäßig etwas Anderes dazukommt. Wie zum Beispiel die Aufrüstung der Bundeswehr. 10 bis 20 Milliarden sind im Gespräch, jährlich.

      • «Südliche Länder werden sich ihrer Macht langsam bewußter»

        Insofern sind auch die USA geostrategisch kein Gewinner, sogar in zweifacher Hinsicht nicht.

        Erstens haben sie über mehr als ein Jahrzehnt versucht, die Ukraine als zusätzliches Gewicht gegen Russland in das westliche Bündnis zu integrieren, auch mit dem Ziel, die russische Schwarzmeerflotte ihrer Basis auf der Krim zu berauben. Es sieht nicht nur so aus, als ob das schiefgegangen ist. Die Kräfte in der Ukraine, die auf die USA gebaut hatten, werden sich mit einem verlorenen Krieg und einem nicht unerheblichen Verlust an Territorium abfinden müssen.

        Zweitens hat der Westen diesen Krieg nicht durch ein Einlenken verhindert, damit Russland durch einen Ueberfall auf die Ukraine seinen Einfluss auf andere Länder verliert. In den ersten Kriegswochen sah es auch danach aus. Die Erweiterung der BRICS-Gruppe und die jetzige UN-Generalversammlung zeigen aber, dass das nicht aufgegangen ist. Russland hat zwar innerhalb BRICS an Gewicht verloren, aber eben das ermuntert andere wichtige Akteure, sich in der erweiterten BRICS-Gruppe zu engagieren. Die (erweiterte) BRICS-Gruppe hat von der Bevölkerungszahl her, vom Wirtschaftspotential her und auch von der militärischen Kapazität her ein höheres Gewicht als der Westen. Sie mag derzeit weniger stark koordiniert sein, aber je mehr sich der Westen unbeliebt macht, um so stärker wird sie sich konsolidieren.

        • Kurzfristig sehe ich die USA vorn. Die NATO rüstet, Konzerne investieren mehr in USA, Waffenverkäufe, die EU geschwächt. Die Schwächung der EU ist allerdings ein zweischneidiges Schwert.
          Langfristig sieht es von der Dominanz weltweit natürlich anders aus.
          Das Ziel mithilfe der Ukraine Russland weiter einzukreisen bzw zu neutralisieren, wenn es später zur Konfrontation mit China kommt hat sich bisher nicht erfüllt. Es sieht auch nicht so aus, als ob man das Blatt wenden könnte.

          • «Kurzfristig sehe ich die USA vorn. Die NATO rüstet, Konzerne investieren mehr in USA, Waffenverkäufe, die EU geschwächt.»

            Das ist aber nur ein innerwestlicher Effekt. Insgesamt hat der Westen Kriegskosten und die sind im Vergleich zu anderen Ländern, die keine haben, nachteilig. Die USA sind ja ohnehin schon überschuldet. Sollte ein grösserer Teil der Welt aus dem US-Dollar als Reservewährung aussteigen, wird es sehr schnell sehr eng.

            Zudem sind Rohstoffe und Energieträger teurer geworden und der Westen ist bei diesen Dingen Nettoimporteur.

            • ich nehme an, viele Länder würden die USA, den Dollar stützen. Zuviel Kapital ist angelegt/investiert das verloren gehen könnte.
              Je weiter man stützt, umso höher der Verlust, könnte man sagen. Aber so denken Investoren meist nicht. Kurzfristige Spekulationsgewinne locken zu sehr. Auch denkt man, man könne noch rechtzeitig aussteigen bevor es eng wird.
              Allerdings rechne ich damit, daß der Dollar seine Dominanz verliert. Für den Dollar besteht so lange keine Gefahr, wie Kapital in größerem Umfang nach USA fließt. Der Gegner entsteht allerdings langsam im Osten und es werden sich sicher mehr Länder beteiligen. Inform einer zusätzlichen Reservewährung oder Handel in Landeswährung. Das ist teilweise ja schon im Gange.

    • Die Inklusion in Schulen stelle ich mir total schwierig vor. Die einen sind ueberfordert, die anderen unterfordert.

      Ansonsten: «Schlaraffenland-Mentalitaet» (Frank Schaeffler, FDP-Wirtschaftspolitiker im «Handelsblatt»)

    • Man beißt besser nicht in die Hand, die einen füttert. Die Ukraine hatte wegen der Getreidefrage bei der Welthandelsorganisation WTO Beschwerde gegen Polen eingereicht. Dann noch der Ausfall Selenkskyjs gegen Polen vor dem UN-Sicherheitsrat, da war das Maß eben voll.

      Quelle: puls24

        • «Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats um weitere ständige Mitglieder gefordert, darunter auch Deutschland. «Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden», sagte Selenskyj im UN-Sicherheitsrat. «Dies ist eine Tatsache. Fakt ist auch, dass Deutschland einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient, dass Lateinamerika dort dauerhaft vertreten sein muss und auch die pazifischen Staaten.»

          Nun ja, Honig um der Bart …., kostet ja nichts. Einfach unseriös und durchschaubar.

          • «Von einer polnisch-ukrainischen Freundschaft für Jahrhunderte hatte Selenskyj gesprochen, nachdem Duda ihn mit dem höchsten militärischen Orden Polens begrüßt hatte.»

            (Quelle: tagesschau.de, 06.04.23)

            Hmm.

              • War wohl alles nur ein Miszverstaendnis.

                «Polens Präsident Andrzej Duda hat die Irritationen um einen möglichen Stopp polnischer Waffenlieferungen an die Ukraine als Missverständnis bezeichnet. Die Äußerungen von Regierungschef Morawiecki seien auf «die denkbar schlechteste Weise interpretiert» worden.

                «Meiner Meinung nach wollte der Ministerpräsident sagen, dass wir die neuen Waffen, die wir derzeit im Zuge der Modernisierung der polnischen Armee kaufen, nicht an die Ukraine liefern werden.»»

                Vielleicht koennen die Polen S. ja besaenftigen, wenn die jetzt noch das Importverbot fuer ukrain. Getreide zuruecknehmen.

    • Ich würde mal vermuten, Wahlkampf in Polen, die aktuellen Beschuldigungen vorgetäuschter Soidarität von Selenskji an an einige Staaten, die vielen Beleidigungen, Forderungen, die mangelnde Glaubwürdigkeit der Ukraine.
      Es macht sich wohl auch der Eindruck eines Fasses ohne Boden breit.
      Bei manchen Staaten hat sich auch die Sichtweise der Bevölkerung etwas verändert.
      Wobei es aber nur 3 Länder sind, die bezüglich Weizenlieferungen ausscheren. Wir nehmen doch sicher die für diese Länder geplanten Mengen mit ab, oder? Mal sehen.
      Bei Waffen sieht es anders aus. Lieferungen aus dem funktionierenden Bestand schwächt und neue Waffenlieferungen brauchen Zeit.
      Die Ukraine hat anscheinend 100 alte Panzer aus Deutschland abgelehnt, die Qualität wäre zu schlecht. Neuere Modelle müßten aber erst noch produziert werden und das geht nicht in ein paar Monaten

      • «Wir nehmen doch sicher die für diese Länder geplanten Mengen mit ab, oder?»

        Unser Verbrauch wird ja nicht grösser. Wir sind in einer anderen Lage als diese drei Länder (und Bulgarien), weil wir wenig von den Agrarprodukten produzieren, die von der Ukraine exportiert werden.

        «Die Ukraine hat anscheinend 100 alte Panzer aus Deutschland abgelehnt, die Qualität wäre zu schlecht.»

        Wir nehmen nichts geschenkt, wenn wir es erst noch instandsetzen müssen…

    • «Die ukrainische Armee macht nach Einschätzung von US-Militärexperten weiter Fortschritte bei ihrer Offensive im Süden des Landes. Am Frontabschnitt bei Robotyne im Gebiet Saporischschja seien erstmals ukrainische Panzerfahrzeuge jenseits der letzten russischen Abwehrlinie gesichtet worden, schrieb das Institut für Kriegsstudien ISW in seinem Bericht.» (lt. tagesschau.de, 22.09.)

      • Mit der «letzten» russischen Abwehrlinie ist die vorderste ausgebaute russische Verteidigungslinie gemeint. Das wird aus der Karte bei militaryland.net klar.

        Erstaunlicherweise erwähnt das ISW die von der Tagesschau aufgestellte Behauptung überhaupt nicht, obwohl sie einen Durchbruch durch die Surowikin-Linie bei Verbove stark diskutiert hatten (den mittlerweile ein vom ISW-Bericht zitierter russischer Milblogger bestreitet). Hat die Tagesschau denn ein Link zu einem geolokalisierbaren Video oder Bild, mit dem die Behauptung nachgeprüft werden kann?

        Zu Verbove schreibt der russische Milblogger:

        «Westliche Quellen, darunter das «Wall Street Journal», berichten, dass die ukrainischen Streitkräfte mit dem Durchbruch durch die «Surowikin-Linie» westlich von Verbowoje endlich einen bedeutenden Erfolg erzielt haben. Tatsächlich dauern die Kämpfe hier aber schon seit mehr als einem Monat an, und die ukrainischen Streitkräfte haben keine sichtbaren Erfolge erzielt.»

        Ich halte es tatsächlich für möglich, dass es sich auch bei diesen Behauptungen um eine Täuschung im Vorfeld des US-Besuchs von Selenskyj handelte, um die Wahrscheinlichkeit für weitere US-Militärhilfen zu erhöhen.

  10. Polen ist selbst ein Netto-Waffenimporteur und importiert unter anderem Panzer, Chassis für Schützenpanzer und Flugzeuge aus Südkorea. Quelle: SIPRI

    Bereits bis Juni 2022 hatte Polen der Ukraine Waffen im Wert von 1.7 Milliarden US$ geliefert. Quelle: notes-frompoland.com

    Damals wurde ein weitere Vertrag im Wert von 650 Millionen US$ unterzeichnet. Quelle: republicworld.com

    Im März 2023 hatte Morawiecki gesagt, Polen habe der EU 2 Milliarden Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine in Rechnung gestellt. Quelle: rmf24.pl

    Um die Verträge, auf EU-Kosten Artilleriemunition an die Ukraine zu liefern, hatte es im Frühjahr 2023 Streit zwischen Frankreich und Polen gegeben. Quelle: Politico

    Am 6. September hatte Polen Verträge für eigene Waffenimporte im Wert von 24 Milliarden US$ abgeschlossen. Quelle: Daily Sabah

  11. China hat in der UN-Generaldebnatte zu einer Einstellung der Kampfhandlungen und zur Aufnahme von Friedensgesprächen aufgefordert. Das sei die einzige Möglichkeit, die Ukraine-Krise zu beenden.

    Jeder weiß das und jeder weiß, was das bedeutet. Verhandelt wird immer auf der Basis des gegenwärtigen Frontverlaufs.

    • Jeder weiss das. Aber der «Westen» glaubt immer noch mittels Waffen und viel Geld den Frontverlauf zugunsten der Ukraine veraendern zu koennen. Jetzt auch mit ATACMS-Raketen und demnaext Taurus.

      Ich denke mal bis zur US-Wahl werden die Kampfhandlungen fortgesetzt (falls die Ukraine den Winter uebersteht).

      • «falls die Ukraine den Winter uebersteht»

        Da habe ich keine Bedenken, auch wenn die ukrainische Luftverteidigung mir im Vergleich zu vor einem Jahr geschwächt erscheint. Die Ukraine hat inzwischen Erfahrung, wie man mit Angriffen auf die Energieinfrastruktur umgeht und sie wird vom Westen aus mit Gas versorgt werden. Wenn die westlichen Regierungen irgendwie Grips haben (das ist freilich etwas zweifelhaft), sind über den Sommer auch Reserven an Material geschaffen worden, um die ukrainische Energieinfrastruktur im Winter zu reparieren.

        Auch militärisch sind die ukrainischen Streitkräfte stark genug, um eine weiträumige russische Offensive im Winter zu verhindern. Denkbar ist, dass sie einen Teil der (kleinen) Geländegewinne des Sommers wieder verlieren, aber nicht einmal das muss der Fall sein.

        Die russische Strategie dürfte sein, dass die Ukraine im Süden etwa an der Surowikin-Linie geteilt wird, wobei Russland jedoch Vasylivka am Dnjepr wird behalten wollen, das eigentlich nördlich der Surowikin-Linie liegt.

        Im Nordosten würde die russische Seite gern den Oskil als Grenzlinie etablieren, dann den Siverskij Donez etwas bis Serebryanka und von dort über Siversk und Bachmut bis zum Ostrand von Toretsk, das ukrainisch bleiben würde. Damit würde die gesamte Bahnlinie von der russischen Grenze bis Horlivka unter russischer Kontrolle sein. Ich denke nicht, dass die russische Seite diese Linie erreichen kann, es sei denn, der Krieg dauert noch Jahre.

        Der größte bisherige russische Misserfolg ist die Lage bei Donezk. Die russische Seite wird wenigstens Avdiivka nehmen wollen. Ich denke eher nicht, dass das gelingen wird, würde aber eine möglicherweise erfolgreiche Winteroffensive gegen Avdiivka auch nicht völlig ausschließen.

        Ich denke, Avdiivka ist der eigentliche Punkt, dessentwegen Russland derzeit noch nicht verhandeln will. Wenn die ukrainische Regierung sich zu einer Verhandlungslösung gezwungen sieht, wird sie also zunächst Avdiivka gezielt militärisch aufgeben. Dann wird sie nachlassende westliche Unterstützung als Grund nennen, in Verhandlungen eintreten zu müssen. Die russische Seite, die den Krieg ebenfalls nicht gewinnen kann, wird daraufhin auf ein chinesisches Vermittlungsangebot eingehen.

        Am Wahrscheinlichsten ist, dass China als BRICS-Staat und die Türkei als NATO-Land (und Waffenlieferant an die UKraine) gemeinsam als Vermittler zunächst eines Waffenstillstands auftreten.

        Um zu einer stabileren Lösung zu kommen, müsste Russland als relativer aber nicht vollständiger Sieger der Ukraine irgendetwas anbieten. Russland hat nach der ukrainischen Gegenoffensive vom Herbst 2022 kaum noch Faustpfänder. Das Atomkraftwerk Enerhodar (bei Saporischschija) kann wegen seiner Lage südlich des Dnejpr nicht vollständig zurückgegeben werden. Denkbar ist aber eine entmilitarisierte Zone im Umkreis auf beiden Dnjepr-Seiten und die Rückgabe des Kraftwerks als entmilitarisierte ukrainische Exklave. Ein von Russland finanzierter Wiederaufbau des Staudamms bei Nova Kachovka wäre in beiderseitigem Interesse und könnte ebenfalls angeboten werden.

        • Sie haben da ja richtig konkrete Vorstellungen, wie es zu einer Verhandlungsloesung kommen koennte.

          Nur – das wird nichts. Solange die Ukraine weiterhin mit Waffen und viel, viel Geld und herzlichen Worten unterstuetzt wird, denken die gar nicht daran, verhandeln zu wollen. Und Russland hat erst recht kein Interesse.

          • Wer hätte gedacht, dass es nach einem Dreißigjährigen Krieg zu einer Verhandlungslösung kommen würde? Oder nach den Napoleonischen Kriegen (Wiener Kongress)? Oder der Französisch-Spanische Krieg mit dem Pyrenäenfrieden?

            Das wird beim Russisch-Ukrainischen Krieg nicht heute oder morgen geschehen und nicht dieses Jahr, aber irgendwann wird es irgendeine verhandelte Übereinkunft geben, welche die Kriegshandlungen beendet. Das wird sehr wahrscheinlich kein regelrechter Friedensvertrag sein.

            Nach dem Korea-Krieg (1950-1953) gab es ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der UNO und Nordkorea, das am 27. Juli 2023 seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Zu einem Friedensvertrag hat es nie gereicht.

              • Es wird nicht so verheerend sein, wie der 30-jährige Krieg in Deutschland und auch nach dem gab es etwas zu verhandeln. Von dem Anfängen der Verhandlungen bis zum Westfälischen Frieden dauerte es 11 Jahre (seitdem ist die Schweiz ein unabhängiger Staat) und dann noch einmal 11 Jahre, bis sich auch Frankreich und Spanien einigten (Pyrenäenfrieden).

                Ich denke nicht, dass der Ukraine-Krieg so lange dauern kann. Die Ukraine kann nicht Jahr für Jahr derart langsame Offensiven führen. Irgendwann gehen ihr dabei auch die Soldaten aus.

            • Irgendwann wird es sicher eine Art Friedenslösung geben. Betrachtet man aber die Verwerfungen, angefangen beim Privatmann, über Konzerne und Staaten, bleibt der Schaden beträchtlich über Jahre.
              Ein Frieden wäre zunächst nur in den direkten Kampfhandlungen zu sehen. Was darüber hinaus entstanden ist und noch geschieht, läßt sich in Gänze noch gar nicht abschätzen.
              Ein Ende der Kampfhandlungen könnte das befördern, wenn bei maßgeblichen Leuten die Kosten/Nutzen Rechnung stärker ins Bewußtsein dringt.
              Am Ende wird man sagen, was hat man gewonnen?
              Noch sind wir weit davon entfernt, das Schlachtfeld dient immer noch als Testgelände für Waffensysteme und die Bereitschaft zum Frieden ist nicht vorhanden.
              Krieg, ebenso wie Frieden ist heutzutage auch viel komplexer als es einmal war.
              Bündnissen geht es um Macht, die Wirkung auf außenstehende Staaten, internationale Handelsbeziehungen, Grenzziehung auf den Meeren, Zugang zu Rohstoffen, die Presse, unzählige Waffensysteme die mal eingesetzt oder im Geheimen gehalten werden, viele Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen wie NATO, UN, EU, die direkt und indirekt Beteiligten im Kampfgebiet, die indirekten Kriegsfolgen usw.
              Daß nur 2 Länder über Frieden verhandeln ist die Ausnahme. Sieht man schon daran, welche Länder Interessen verfolgen die mit der Ukraine kaum etwas zu tun haben oder 20.000km weit entfernt sind.
              Es wird zwar immer betont, die Ukraine entscheidet über Krieg und Frieden, aber das ist Augenwischerei.
              Die F16, die anderen Waffensysteme die angedeutet werden, könnten kommen und entsprechend wird Russland dann reagieren.
              Das wäre dann im nächsten Jahr und mit jedem Jahr werden sich Kriegsfolgen verfestigen. Der direkte Handel mit Russland wird auf Jahre ausgesetzt bleiben, die Lieferungen dadurch teuer werden. Über 3. Länder oder aus anderen Staaten ist kompliziert, kostenintensiv und die Umwelt belastend.

              • Ja, ich denke auch nicht, dass der Krieg noch viele Jahre geht. Allein schon wegen der vielen zusaetzlichen Belastungen und Verwerfungen – wie von Ihnen beschrieben – die er in den anderen Laendern mit sich bringt. Man weiss ja jetzt in Deutschland schon nicht mehr, wo man die vielen Fluechtlinge unterbringen soll. Und, was die Ukraine betrifft, werden es mit jedem Kriegstag mehr. Die meisten werden auch nicht in ihr verwuestetes Land zurueckkehren, wenn der Krieg zu Ende ist.

                Irgendwas muss passieren, allerdings nicht solange das Trio Infernale (B,S,P) noch ganz oben steht.

                (Ewigen Krieg gibt’s nur bei Orwell’s «1984».)

  12. Ich bin sicher, Russland agiert in der Ukraine mit angezogener Handbremse. Der Westen auch.
    Zermürben ja, aber mittlerweile hat sich wohl durchgesetzt, keine grenzenlose Eskalation zuzulassen.
    Putin als Verrückten darzustellen ist Propaganda. Wäre es so, hätte man die Ukraine schon überrannt. Immerhin hätte die bisher wenig eingesetzt Luftwaffe mit Flächenbombardements ganze Städte eindecken können, stattdessen ist man mit verlustreichem Häuserkampf vorgegangen.
    Die Eskalation läuft scheibchenweise, das könnte irgendwann Verhandlungen möglich machen.
    Immerhin muß der Westen bei totaler Eskalation mit weiteren, viell. 5 Millionen Flüchtlingen rechnen und die Leistungsfähigkeit z.B. Deutschlands liegt zur Zeit schon im Grenzbereich.
    Ob man schon verstärkt an das Kriegsende denkt? Zum Beispiel wie es mit dem Nachzug von Familienangehörigen aussieht bei den Ukrainern, die hier bleiben wollen. Verstärkter Konkurrenz, wenn russische Rohstofflieferungen nur an bestimmte Länder gehen. China könnte verstärkt in Russland investieren, da dort einiges an Rohstoffen vorhanden ist und man diese vor Ort verarbeiten könnte.
    Die Seidenstraße entwickelt sich nicht weiter, der Westen zeigt Desinteresse, China wird andere Wege suchen. Es gibt viele Länder die an einer stärkeren Zusammenarbeit interessiert wären. Und das Warensortiment Chinas ist weltweit leicht absetzbar. Teure Maschinen aus Deutschland weniger.
    Nicht wenige Länder sind in einer Situation, bei der man sich einen ausufernden Krieg eigentlich nicht leisten kann. Die USA haben 70? Milliarden direkt investiert. Das ist bei dem üblichen hohen Staatsdefizit keine gewaltige Summe. Aber in der Bevölkerung könnte sich Unmut ausbreiten über Gelder die ins Ausland fließen.
    Manche Länder haben durch Kriegsfolgen auch laufende Kosten, die noch Jahre bestehen werden, die man zu den direkten Kriegsbeteiligungen addieren muß. Aus gutem Grund spricht man nicht darüber.

    • Ich denke, wenn Biden naechstes Jahr die Wahlen verliert (gegen wen auch immer) bricht die ganze Ukraine-Solidaritaet wie ein Kartenhaus zusammen.

      «Die bislang geleistete Militärhilfe für die Ukraine kostete Deutschland 5,2 Milliarden Euro…Der Ukraine werden die Hilfsleistungen zur Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg nicht in Rechnung gestellt.» (tagesschau.de)

      • «Ich denke, wenn Biden naechstes Jahr die Wahlen verliert (gegen wen auch immer) bricht die ganze Ukraine-Solidaritaet wie ein Kartenhaus zusammen.»

        Auch da bin ich nicht sicher. Verliert Biden gegen Trump, so wird die Ukraine danach verhandeln müssen und geteilt werden. Momentan erscheint das nach Umfragen geringfügig wahrscheinlicher als ein Sieg Bidens. Da Trump bei Weitem der bessere Wahlkämpfer ist und Biden sichtlich altersschwach, wird es für die Demokraten schwierig.

        Fällt aber Trump aus irgendeinem Grund aus und setzt sich dann in den Vorwahlen Haley gegen DeSantis durch, dann würde Haley sehr wahrscheinlich gegen Biden gewinnen (sie ist mittekompatibler als Trump und DeSantis). Haley wäre auch die Kandidatin der Israel-Lobby in den USA. Haley ist nicht unkritisch gegenüber Trump, aber ihre Linie ist so, dass sie nach einem Ausfall Trumps dessen Anhänger auf ihre Seite ziehen könnte.

        Haley ist eine sehr viel stärkere Ukraine-Unterstützerin als Trump und DeSantis. Quelle: The Age

        Wenn das US-Establishment zu dem Schluss gelangt, dass Biden wahrscheinlich gegen Trump verlieren wird, wird es versuchen, sein ganzes Gewicht (verdeckt) hinter Haley zu werfen. Es gibt keinen anderen plausiblen Kandidaten der Demokraten, den das Establishment Haley vorziehen würde. Der einzige bisherige Gegenkandidat zu Biden (64%) in den demokratischen Vorwahlen ist Robert F. Kennedy (etwa 14%). Das Establishment dürfte sogar Trump gegenüber dem sehr friedensorientierten Kennedy vorziehen, der zudem wichtige Großbanken und Unternehmen gegen sich aufgebracht hat.

        Kennedy ist chancenlos, Haley hat eine Außenseiterchance. Eine Präsidentin Haley würde alles in ihrer Macht stehende tun, um die Ukraine zu unterstützen. Das wäre zwar immer noch weniger als jetzt, weil die Meinung der Öffentlichkeit in den USA zur Zeit unumkehrbar umschwenkt. Es könnte aber ausreichen, um der Ukraine eine Weiterführung des Kriegs zu ermöglichen, um nicht verhandeln zu müssen.

        • Hmm, da kann ich Ihnen schlecht widersprechen. Sie hatten den Namen in letzter Zeit ja schon einige Male erwaehnt. Ich kannte die vorher nichmal vom Namen. (War ja vor kurzem noch auch ziemlich chancenlos.)

          Ist eine begeisterte Verfechterin der freien Maerkte und haelt den Kapitalismus fuer «das beste und fairste Wirtschaftssystem, dass die Welt je gesehen hat».

          Sie hat China als «unsere grösste nationale Sicherheitsbedrohung» bezeichnet.

          Und richtig: «In scharfem Gegensatz zu den Trumpschen populistischen Kandidaten hat Haley deutlich gemacht, dass die USA unmittelbares Interesse an einem Sieg der Ukraine über Russland haben.» (aus: fuw.ch)

          Wird Trump aus dem Verkehr gezogen, hat die wohl die besten Chancen.

          Auf der anderen Seite: «Kennedy ist chancenlos» Yo. Allein schon deswegen, weil er unter «Demokraten» als einer gilt, der VT verbreitet. Da hilft auch sein Name (sicher schon der Hauptgrund fuer die ca. 14 %) nichts.

            • Ja, die Story von der «magischen Kugel» wird den Neffen nicht unbeeindruckt gelassen haben.

              Vielleicht ist sein schlechter Ruf ja auch nur in unseren MSM verbreitet und auch eine Mehrheit der demokrat. Waehler fa/i/nden Sleepy Joe’s Corona-Masznahmen und Ukraine-Politik nicht so toll.

              Uebrigens glaube ich nicht, dass die demokrat. Waehler, die mit Biden ein Problem haben, auf Haley umschwenken. Obgleich die wenigsten von denen, irgendwelche linken Ideen im Kopf haben, werden die doch keine Marktradikale waehlen, die schon in der geringsten Form der Aufweichung des kapit. Systems einen Weg zum Sozialismus sieht.

    • Die von mir genannten 70? Milliarden stimmen nicht, es sind ca 43 Milliarden. Für nächstes Jahr ca. 20-25 Milliarden. Aus USA und nach offiziellen Zahlen.
      Die tatsächlichen Kosten für Deutschland sind schwer zu bekommen, da ja vieles mit reinspielt. Energie, Rohstoffe, Flüchtlinge, Handelshemmnisse usw.
      Eine seriöse Rechnung wird keiner aufmachen, das würde die Kriegsmüdigkeit fördern.

  13. Die Wettervorhersage für die Süd- und Ostukraine ist stabil, Sonne, Wolken, warm, kein Regen. Die ukrainische Seite hat noch mindestens eine Woche, in der die Witterungsbedingungen für eine Fortsetzung der langsamen Sommeroffensive günstig sind.

  14. Putin ist übrigens weiter als Selenskyj in der Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die unvermeidliche Verhandlungslösung. Nach der Liquidierung von Prigoschin und dem Vorgehen gegen Girkin, ist die extrem nationalistische Fraktion sehr viel ruhiger. Dadurch, dass Russland den ganzen Sommer lang keine große Offensive versucht hat, umgekehrt aber die Surowikin-Linie erfolgreich verteidigt und damit im Bewusstsein der Bevölkerung verankert hat, kann Putin sich ein Einfrieren des Konflikts an dieser Linie leisten, ohne das Gesicht zu verlieren.

    Selbst die immer noch frontnahe Lage von Donezk lässt sich prinzipiell verschmerzen. Die ukrainische Seite wird Cherson wieder besiedeln wollen. Wenn sie jedoch Donezk beschießt, würde umgekehrt Russland auch wieder Cherson beschießen. Es gibt da ein Gleichgewicht des Schreckens.

    Russland hält derzeit etwas mehr Territorium der Region Charkiw als die Ukraine noch Territorium der Region Luhansk hält. Es wäre denkbar, das im Rahmen einer Verhandlungslösung abzutauschen.

    Kurz und gut, Putin kann sich eine Verhandlungslösung etwa entlang der gegenwärtigen Frontlinie leisten, wenn er zu dem Schluss kommt, dass das für Russland besser ist als die Fortführung des Krieges. Die ukrainische Seite müsste wohl Selenskyj und den bereits teilweise aus der Öffentlichkeit zurückgezogenen Saluschnyj als Sündenböcke davonjagen.

    • «Die ukrainische Seite müsste wohl Selenskyj…davonjagen.»

      Eben. Und da sehe ich keine Veranlassung, nachdem er gerade wieder ’ne Menge Geschenke nach Hause gebracht hat.

      Von Opposition, die was taugt – oder wenigstens relevanten kritischen Stimmen innerhalb der Ukraine hoere ich naemlich ueberhaupt nichts.

      • «Und da sehe ich keine Veranlassung, nachdem er gerade wieder ’ne Menge Geschenke nach Hause gebracht hat.»

        In der Politik kommt fast alles vor – außer Dankbarkeit.

        Wenn es nötig ist, dass die Ukraine eine Verhandlungslösung anstrebt und wenn es dazu nötig ist, der Präsidenten auszuwechseln, dann wird das getan.

        Der Mann ist Schauspieler. Er kann mit großer Geste zurücktreten: «Aus den und den Gründen müssen wir jetzt doch mit Russland verhandeln. Ich sehe das ein, aber ich kann das nicht mit meiner Haltung vereinbaren.»

        Und dann Villa in Ägypten oder Italien.

  15. Erst jetzt habe ich erfahren, dass Selenskyj am 7. September 2023 den Chef des ukrainischen Militärgeheimdiensts, Kyrylo Budanow, zum Generalleutnant befördert hat. Das ist der zweithöchste Rang in den ukrainischen Streitkräften. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, hatte zu Beginn des russischen Angriffskriegs auch diesen Rang. Er wurde erst am 5. März 2022 in den höchsten Rang (General) befördert.

    Budanow ist ein möglicher Nachfolger für Saluschnyj. Er hat Fronterfahrung von 2014 und Erfahrung in Spezialoperationen. Die russische Seite hat 2019 einen misslungenen Attentatsversuch gegen Budanow unternommen.

    Budanow koordiniert Verhandlungen, sowohl zum Gefangenaustausch mit Russland als auch mit Lukaschenko. In einem Interview von «The Economist» mit Budanow Anfang September ging es auch um Verhandlungen mit Russland:

    «Kyrylo Budanov erklärte auf die Frage nach Friedensverhandlungen mit Russland, dass er darauf keine direkte Antwort geben wolle.
    «Ich verzichte auf eine direkte Antwort auf die Fragen, die Sie gestellt haben. Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, dass es sinnlos ist, mit Mördern zu reden, denn sie wollen einen nur umbringen», sagte er.» Quelle: tsn.ua

    Das ist eine Antwort, die der Situation angemessen rauh klingt, aber zukünftige Verhandlungen nicht ausschließt.

Schreiben Sie einen Kommentar