Der Oktoberkollaps fand nicht statt


Expertenunwesen Journalisten fehlt es oft an ausreichender Expertise, um Experten auf einem bestimmten Gebiet auszumachen. Sie fragen dann andere Leute, denen sie Expertise zutrauen. Das Ergebnis überzeugt selten.

»Det er svært at spå – især om fremtiden« – aus einer Parlamentsbefragung in Dänemark

«Vorhersagen sind schwierig – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.»

Wir backen uns einen Militärexperten

Mit dem Ukraine-Krieg und dem Gaza-Krieg ist es etwas wie mit der Corona-Krise. Damals wurden Virologen von den Medien als Experten für Epidemiologie herumgereicht, die sie gewiss nicht waren. Geht es um einen aktuellen Krieg, so halten sich viele Militärs mit Vorhersagen zurück, weil sie wissen, dass die Unsicherheiten gerade auf militärischem Gebiet erheblich sind. Es scheint schon schwierig zu sein, aus einem aktiven Militär auch nur eine Einschätzung der gegenwärtigen Gesamtlage herauszubekommen. Ausnahmen sind fast nur interessengeleitete Sprecher einer Seite. Eher äußern sich bereits deaktivierte Militärs. Deren Äußerungen passen selten zu dem Narrativ, das die Mainstream-Medien verbreiten. Entsprechend werden sie selten in diesen zitiert.

Was tut man also, wenn man ein Thema hat, das die Öffentlichkeit nun mal interessiert und etwas schreiben will, dem die Leser Autorität zubilligen? Man befragt einen Experten. Findet man keinen, so bäckt man sich einen. Das Rezept ist einfach. Man nehme eine Person, die irgendeine Verbindung zu dem Thema hat, welche der breiten Öffentlichkeit einleuchtet. Geht es um eine Epidemie, so kann das auch ein Veterinärmediziner sein, falls er einem Institut vorsteht, dass sich eigentlich mit epidemiologischen Fragestellungen beschäftigt. Diese institutionelle Verbindung zieht immer. Man gebe viel Schaum hinzu und erhitze mit heißer Luft. Fertig ist der Experte – in selteneren Fällen kann es auch eine Expertin sein. Er oder sie sagt etwas zum Thema, die Öffentlichkeit glaubt es oder auch nicht. Wenn sich erwiesen hat, dass die Aussage falsch war, ist sie schon lange vergessen. Man kann nun die gleiche oder eine ähnliche Person erneut befragen und das Spiel wiederholen. So funktionieren heute Medien, die man früher einmal Qualitätsmedien nannte. Entsprechend ist es um das Vertrauen in diese Medien und in Experten bestellt.

Ich möchte das hier am Beispiel zweier «Militärexperten» diskutieren, Marcus Keupp und Carlo Masala. Es geht mir dabei nicht um einen Angriff auf diese beiden Personen. Sie haben ein Recht auf ihre persönliche Meinung und auch darauf, diese in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Wenn ich Aussagen dieser Personen kritisiere, so gehört das zur normalen öffentlichen Diskussion. Es bedeutet nicht, dass ich sie als Personen missachte. Ich kenne die Beiden nicht persönlich, obwohl einer von ihnen an der gleichen Hochschule unterrichtet wie ich. Worum es mir geht, ist die Irreführung der Öffentlichkeit, die dadurch entsteht, dass Personen als Experten auf einem Gebiet dargestellt werden, auf dem sie keine Experten sind.

Was ist ein Militärexperte?

Krieg ist, nach Clausewitz, die Fortsetzung der Politik mit anderen, nämlich militärischen, Mitteln. Dieser Gedanke ist bereits in dem mehr als 2000 Jahre alten klassischen chinesischen Werk «Die Kunst des Krieges» enthalten, wo es gleich anfangs um das Verhältnis zwischen politischer und militärischer Führung geht. Sun Tsu hat es nur nicht so klar ausgesprochen. Politik ist, nach Gerhard Gundermann, im Kapitalismus die Fortsetzung der Wirtschaft mit anderen Mitteln. Wo sich wirtschaftliche Interessen nicht mit wirtschaftlichen Mitteln durchsetzen lassen, wird Politik betrieben. Das gilt auch für andere Interessen, die nicht mit den Mitteln dieses Bereichs durchgesetzt werden können. So wetteifern Wissenschaftler miteinander über ihre wissenschaftliche Arbeit. Wo sie ihre Interessen, zum Beispiel an der Zuteilung von Ressourcen, auf diese Art nicht durchsetzen können, betreiben sie Wissenschaftspolitik. Wenn Politik als Interessenausgleich versagt, kommt es innerhalb von Staaten zu juristischen Auseinandersetzungen und international zu militärischen.

Ein Militärexperte ist jemand, der eine bewaffnete Auseinandersetzung wenigstens prinzipiell planen, durchführen und beurteilen kann. In der Regel ist er nicht zugleich Experte für die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Kriegführung. Nur in einer Militärdiktatur fallen das Militärische und das Politische zusammen. In anderen Staaten bleibt das Militär ein politisches Instrument in den Händen der zivilen Führung. Diese delegiert nur die Führung des bewaffneten Kampfes. Sie behält sich die Entscheidung vor, mit welchen Zielen dieser geführt und wann er abgebrochen wird. Umgekehrt ist jemand, der sich mit den politischen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer bewaffneten Auseinandersetzung beschäftigt, in der Regel kein Militärexperte. Er wird nicht in der Lage sein, zu sagen, wie der bewaffnete Kampf am Besten zu führen ist und wie er sich wahrscheinlich in der näheren Zukunft entwickeln wird. Wir müssen nun klären, ob Keupp und Masala Miltärexperten sind, und wenn nicht, ob sie trotzdem militärische Auseinandersetzungen beurteilen können.

Marcus Keupp

Marcus Keupp (46) lehrt als Privatdozent Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich, die wiederum die Berufsoffiziere der Schweizer Armee ausbildet. Keupp hat 1997-2003 Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim studiert und 2008 mit dem Thema «Initiativen von Tochtergesellschaften in der internationalen Forschung und Entwicklung: eine Überlebensanalyse» in St. Gallen promoviert. Keupp beschreibt das Thema so: «Ich führe diese Untersuchung im Kontext der globalen Forschungs- und Entwicklungsorganisation (F&E) eines multinationalen Unternehmens (MNC) durch. Mit meiner Untersuchung möchte ich daher eine primäre Forschungsfrage beantworten: Was bestimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Initiative, die von einer ausländischen F&E-Tochtergesellschaft ausgeht?». Das Thema seiner kumulativen Habilitation, ebenfalls an der Universität St. Gallen, konnte ich nicht eruieren. Keupp hat nicht bei der Bundeswehr gedient, sondern vielmehr Zivildienst geleistet.

Keupp veröffentlicht sehr wenig. Die letzte Publikation, die ich finden konnte, stammt von 2020 («Wissensabsorption für die Cybersicherheit Die Rolle der menschlichen Überzeugungen»). Sie hat mit militärischen Operationen nichts zu tun – nicht einmal mit solchen auf dem Gebiet der Cybersicherheit. Die meisten Publikationen davor beschäftigen sich mit psychologischen Aspekten des Austauschs von Sicherheitsinformationen. Keupp ist allerdings ein guter Hochschullehrer oder muss das wenigstens 2013 gewesen sein. Damals erhielt er die «Goldene Eule» seines Fachbereichs, die vom Studierendenverband VSETH an besonders engagierte Lehrpersonen verliehen wird. Keupp kann sicher nicht als Militärexperte bezeichnet werden. Er hat keine Ausbildung und keine Erfahrung auf militärischem Gebiet, nicht einmal in Grundzügen. Der einzige seiner Forschungsschwerpunkte, der es ihm erlauben würde, ein fundiertes Urteil zu einer Auseinandersetzung abzugeben, betrifft die «Ökonomie des modernen Wirtschaftskrieges». Dazu äußert er sich jedoch nicht.

Carlo Masala

Carlo Masala (55) hat von 1988 bis 1992 in Köln und Bonn Politikwissenschaften studiert. Er wurde 1996 in Köln mit einem Thema zu deutsch-italienischen Beziehungen zum Dr. phil. promoviert und beschäftigte sich danach mit Fragen der europäischen Integration. Masala ist Direktor des Metis-Instituts für Forschung und Beratung zu strategisch relevanten Fragen der aktuellen und zukünftigen internationalen Politik, das an der Universität der Bundeswehr München beheimatet ist. Neuere Publikationen von Masala in begutachteten Fachzeitschriften konnte ich nicht finden. Nach meinem besten Wissen hat Masala keinen Wehrdienst geleistet. Das deutet sich auch in einem Post von ihm auf X (ehemals Twitter) an. Masala sagt darin, ob jemand über die Frage von Waffenlieferungen mitreden könne, dürfe nicht davon abhängen, ob er Wehrdienst geleistet habe. Darin gebe ich ihm Recht. Ob jemand als Militärexperte gelten kann, hängt allerdings davon ab, ob er eine Ausbildung und Erfahrung auf diesem Gebiet hat. Das hat Masala nicht. Er darf als Experte für internationale Beziehungen gelten, nicht weniger und nicht mehr.

Braucht man Experten?

An dieser Stelle gestatte ich mir eine Abschweifung. Als die BASF Anfang der 2010er Jahre vor der Entscheidung stand, ob sie in Ludwigshafen eine Großanlage für das Kunststoffvorprodukt TDI errichten sollte, brauchte sie zwei Arten von Experten. Erstens Ökonomen, die einschätzen konnten, ob die Anlage angesichts bestehender TDI-Produktionskapazitäten wirtschaftlich sein würde. Die Leistung dieser Experten will ich hier nicht beurteilen; ich bin kein Ökonom. Die BASF brauchte zweitens auch Chemieingenieure und Chemiker, die eine solche Anlage in angemessener Zeit zum Laufen bringen konnten. Leute mit diesen Fähigkeiten hatte die BASF in Schwarzheide, wo in den 1970er Jahren eine kleinere TDI-Lage unter erheblichen Schwierigkeiten zum Laufen gebracht worden war. Sie war Anfang der 2010er Jahre noch in Betrieb und lief gut, mit einer deutlich höheren als der projektierten Kapazität. Einige dieser Experten wurden dann auch konsultiert – nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war und die neue Anlage in Ludwigshafen nicht zum Laufen kam. Irgendwann lief sie dann, mehr schlecht als recht. Die Anlage in Schwarzheide war derweil abgefahren worden. Die TDI-Anlage in Ludwigshafen wurde schon 2023 acht Jahre nach den Inbetriebnahme wieder geschlossen, was auch für eine Chemieanlage ein Kindstod ist. Das geschah angeblich wegen zu hoher Energiepreise, was allerdings sogar die «Wirtschaftswoche» als Ausrede betrachtet. Die Zeitschrift schätzt das ein wie ich: Als die vermutlich teuerste Fehlinvestition in der BASF-Geschichte, die vor allem an fehlender technischer Expertise gescheitert ist.

Warum die Abschweifung? Diese Anekdote zeigt zwei Dinge. Um eine komplexe Operation erfolgreich durchführen zu können, braucht man in der Regel Expertise auf mehreren Gebieten. Will man entscheiden, wie man sich in Bezug auf Kriege verhält, denen lose Verbündete ausgesetzt sind, so braucht man Experten auf dem Gebiet der Wirtschaft (was können die Verbündeten sich leisten, was kann man selbst vernünftigerweise beitragen), auf dem Gebiet der internationalen Politik (wie hält man ein Netzwerk von Verbündeten zusammen, wie organisiert man Unterstützung oder Wohlverhalten weiterer Staaten) und vor allem militärische Experten (welche militärische Strategie ist erfolgversprechend, welche Ziele sind überhaupt erreichbar). Die politischen Entscheidungen müssen all diese Aspekte berücksichtigen, sonst geht das aus wie mit der TDI-Anlage in Ludwigshafen, angesichts der Größenordnungen mit viel höheren Verlusten. Aus meiner Sicht wird im Ukraine-Krieg und im Gaza-Krieg die Öffentlichkeit der westlichen Länder aus propagandistischen Gründen fehlinformiert. Die Spitzenpolitiker erliegen entweder selbst dem Wunschdenken dieser Propaganda oder sie wagen nicht, entgegen der so erzeugten öffentlichen Meinung vernünftige Entscheidungen zu treffen. Daran haben Pseudo-Experten wie Keupp und Masala einen Anteil.

Was entscheidet einen Kriegsausgang?

Richtig ist, dass nicht allein militärische Aspekte den Ausgang eines Krieges entscheiden. Deutschland brach am Ende des 1. Weltkriegs im Herbst 1918 politisch zusammen, nachdem es an der Ostfront gesiegt hatte und während die Truppen im Westen eine stabile Frontlinie hielten, die auf französischem Gebiet verlief. Der deutsche Zusammenbruch hatte unter anderem wirtschaftliche Aspekte. Letzlich war aber im Herbst 2018 nach der 100-Tage-Offensive der Westalliierten die militärische Lage Deutschlands aussichtslos. Deutschland hatte deshalb am 2. Oktober den US-Präsidenten Wilson um Frieden ersucht, deutlich vor der Novemberrevolution.

Auch die Niederlagen der USA in Vietnam und Afghanistan hatten politische Aspekte. Gleichwohl war die eigentliche Ursache, dass die USA sich in beiden Fällen nicht hatte militärisch durchsetzen können. Ähnlich war es zuvor in Afghanistan bereits der Sowjetunion ergangen. Im Allgemeinen geht ein Krieg aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen nur dann verloren, wenn die Ziele militärisch nicht erreicht werden können und auch ein eventueller Teilerfolg militärisch nicht gehalten werden kann. Deswegen hat in einem Krieg – wen wundert’s? – die militärische Expertise das Primat.

Kein Sieg der Ukraine im Oktober

«Im Interview mit ZDFheute live zeichnet Militärexperte Keupp ein desaströses Bild der russischen Armee nach (sic!).»

«Der ETH-Militärökonom Marcus Keupp glaubt, er könne das Ende des Ukraine-Krieges berechnen. Diese Prophezeiung verbreitet er in den Medien. Ist eine solche Prognose seriös, und warum riskiert ein Wissenschafter seinen Ruf?» Kommentar der NZZ zum ZDFheute live Interview

Das ZDF stellte ein Interview mit Keupp am 4. April 2023 unter dem Titel «Keupp erwartet Putins Niederlage im Oktober» ins Netz. Diese Äußerungen sind längst vergessen. Ich fand sie damals so irrwitzig, dass ich das Interview in meinem Terminkalender für Ende Oktober als Wiedervorlage ablegte. Russland habe, so Keupp damals, nach Schätzungen von Militäranalysten bereits 10’000 Panzer und schwere Waffensysteme verloren. Diese Abnutzungsrate könne es nicht durchhalten. Um dieses Argument als unsinnig zu erkennen, muss man kein Militärexperte sein. Eine Prognose eines komplexen Vorgangs mit einer linearen Extrapolation ist fast immer falsch. Wenn Russland wirklich in den ersten 14 Monaten so viele Systeme verloren hatte, musste die militärische Führung ihre Strategie ändern. Das hatte sie im Übrigen bereits vor Keupps Interview getan, nämlich im Juli/August 2022. Sie hat die Strategie dann im Juni 2023 noch einmal angepasst.

Weiter argumentierte Keupp, dass man nicht nur die russischen Erfolge in Bachmut sehen dürfe. Russland habe auch bei Kreminna, Awdijiwka, Marinka und Vuhledar angegriffen und nichts erreicht. Diese statische Sicht der Dinge erwies sich in der Folge als falsch. Während Russland bei Vuhledar auch im Sommer keine Fortschritte gemacht hat, ist Marinka inzwischen gefallen, bei Kreminna ist die russische Seite etwas vorgedrungen, weiter nördlich bei Kupyansk etwas mehr und Awdijiwka ist im Oktober unter erheblichen russischen Druck geraten. Nichts davon kann als russische Großoffensive bezeichnet werden. Russland selbst redet von «aktiver Verteidigung». Es sah jedoch im ganzen Sommer 2023 nie auch nur entfernt so aus, als käme Russland in schwere Bedrängnis.

Keupp argumentierte damals weiter, die Ukraine stelle von veralteter sowjetischer Technik auf moderne westliche Kampftechnik um. «Sobald die ukrainische Frühjahrsoffensive losgehen wird – ich rechne mit Mitte April – wird man diesen Technologieeffekt dann deutlich sehen.» Er erwartete eine dann noch höhere Verlustrate der russischen Seite. Bekanntlich kam es anders. Die ukrainische Offensive begann erst am 4. Juni und sie begann mit einer Woche hoher ukrainischer Verluste, besonders auch an westlicher Militärtechnik. Minenräumtechnik kam in dicht genug angelegten russischen Minenfeldern zum Erliegen. Leopard-2-Panzer und eine große Zahl von Bradley-Schützenpanzern wurden abgeschossen. Die Ukraine bemerkte schnell, dass hohe Verluste schwerer Militärtechnik in der heutigen Kriegführung während einer Großoffensive unvermeidlich sind – und dass die Ukraine eine so hohe Abnutzungsrate nicht durchhalten konnte. Die Führung fuhr deshalb die Intensität der Offensive sehr schnell herunter. Die Offensive scheiterte dann noch gründlicher, als ich meinerseits im April erwartet hatte. Die ukrainischen Streitkräfte sind im Süden einen Sommer lang gegen die Surowikin-Linie angerannt ohne einen Durchbruch zu erzielen. Außer bei Verbove haben sie diese Linie nicht einmal erreicht.

Der Oktober ist nun vorbei. Bei Bachmut hatte die Ukraine im Sommer lange versucht, den im Winter 2022/23 verlorenen Boden gutzumachen. Nun ist sie nach Aussagen des Sprechers des ukrainischen Kommandos der Bodentruppen, Oberstleutnant Wolodymyr Fityo, zu einer «aktiven Verteidigung» übergegangen. Offensivaktionen zur Verbesserung der taktischen Position würden durchgeführt, wenn sich eine Gelegenheit böte. Das ist die Kampfweise, der sich die russische Seite im Sommer angesichts ukrainischer Offensivbemühungen bedient hat. Wenn die ukrainische Seite nun dazu übergeht, erwartet oder spürt sie russische Offensivbemühungen. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem Russland nach Keupp der Krieg verloren haben müsste.

Russland erscheint derzeit innenpolitisch wie wirtschaftlich stabil. Nach westlichen Schätzungen produziert es mehr Munition und Militärtechnik als das westliche Lager. Die russische Luftüberlegenheit dauert an und die ukrainische Luftverteidigung ist seit dem Frühjahr schwächer geworden, was man an einer größeren Anzahl erfolgreicher russischer Angriffe sieht. Wenn die Ukraine neue westliche Waffensysteme erhält, wie etwa die Storm-Shadow-Marschflugkörper oder die US-amerikanischen ATACMS-Raketen, erzielt sie beim ersten Angriff damit einen Achtungserfolg. Bald hat sich die russische Luftverteidigung darauf eingestellt.

Wie im vorigen Jahr ist zu erwarten, dass der Winter eher die russische Seite begünstigen wird. Mit großen russischen territorialen Gewinnen ist zwar nicht zu rechnen. Russland hält jedoch bereits knapp 20% des ukrainischen Territorium besetzt. Derzeit sehe ich nicht, wie die ukrainische Seite daran etwas Wesentliches ändern könnte. Russland hat den Krieg nicht im Oktober verloren. Es sieht nicht danach aus, dass Russland diesen Krieg überhaupt verlieren wird. Am 6. Oktober kam Masala zu dem Schluss, dass das Kalkül Putins aufgehen könne.

Die Nichtexistenz einer Krim-Front

„Dann kollabiert die russische Front auf der Krim“ – Carlo Masala, 21. März 2023 in einem Interview mit t-online

Fairerweise muss man im Falle Masala sagen, dass die t-online-Redaktion den Tenor des Interviews vom März dadurch verzerrt hat, dass sie eine aus dem Zusammenhang gerissen Aussage als Titel verwendete. Ich vermute jedoch, dass Masala diesen Titel autorisiert hat. Er argumentierte damals, es wäre ein Riesenerfolg, wenn die ukrainischen Streitkräfte zum Asowschen Meer vorstoßen könnten und damit die russischen Kräfte in Osten von denjenigen im Süden trennen würden. Dann könne die Ukraine die Versorgungslinien zur Krim unterbrechen, wodurch letztlich die russische Front auf der Krim zusammenbrechen würde. Er hat sich im Gegensatz zu Keupp aber nicht festgelegt, dass so etwas geschehen würde.

Masala hat sich damals auch für die Vorbereitung von Verhandlungen ausgesprochen. Dazu sollte aber zunächst der Verlauf der ukrainischen Gegenoffensive abgewartet werden. Ähnlich hatten etwas später, am 13. April 2023 in «Foreign Affairs» Charles Kupchan und Richard Haass argumentiert. Ich hatte das hier damals referiert. Die beiden erfahrenen Sicherheitspolitiker hielten die westliche Strategie in der Ukraine bereits im April für gescheitert und forderten eine neue. Sie erwarteten keinen Sieg der Ukraine, sondern ein blutiges Patt. Im Gegensatz zu den Erwartungen von Keupp und Masala hat der Sommer 2023 diejenigen von Kupchan und Haass erfüllt. Kupchan und Haas hatten damals bereits geschlossen, dass die westliche Verteidigungsindustrie mit dem Bedarf der Ukraine an Ausrüstung und Munition nicht Schritt halten könne. Der Gaza-Krieg, den die Hamas möglicherweise sogar mit Moskau koordiniert hat, verschärft dieses Problem. Das gilt besonders, wenn er längern andauern oder sich ausweiten sollte, was Israel erwartet.

Am Ende hatten Kupchan und Haass festgestellt, dass für den Westen und die Ukraine selbst ein Einfrieren des Konflikts an der Kontaktlinie einem langandauernden Krieg vorzuziehen sei. Die ukrainische Seite hat diese Kontaktlinie über den Sommer nicht wesentlich verschieben können. Zwischen dem 4. Juni und dem Wintereinbruch wird sie keine oder nur sehr geringe Nettogewinne an Territorium erzielen. Da die Initiative bereits Ende Oktober an die russische Seite übergegangen ist, sind über den ganzen Jahreszeitraum bis zum 3. Juni 2024 leichte Nettoverluste an Territorium zu befürchten.

Die Kupchan-Haas-Strategie hat den Schwachpunkt, dass die russische Führung all das weiß. Sie weiß auch, dass ein Einfrieren des Konflikts an der Kontaktlinie mittlerweile im ukrainischen und westlichen Interesse ist. Dieses Interesse wird sie nicht bedienen wollen. Sie befindet sich derzeit nicht unter Druck, den Krieg zu beenden.

Was tun?

Der bestmögliche Kriegsausgang für die Ukraine dürfte es sein, die jetzige Kontaktlinie zu haten. Selbst das wird möglicherweise bezüglich Awdijiwka und der Gebiete östlich des Oskil bei Kupyansk nicht zu erreichen sein. Die ukrainische Militärführung müsste dazu aus dem Erfolg der Surowikin-Linie lernen und nahe der jetzigen Kontaktlinie auf ihrer eigenen Seite ein ähnliches gestaffeltes Verteidigungssystem errichten. Damit würde sie allerdings gut wie einzuräumen, dass man die Hoffnung verloren hat, die besetzten Territorien zurückzuerobern, so wie Russland mit der Surowikin-Linie praktisch eingeräumt hat, dass es keine weiteren großen Gebietsgewinne mehr erwartet.

Alternativ könnten die Ukraine und der Westen hoffen, dass Russland im Winter keine großen Fortschritte machen wird und dass die Ukraine im Sommer 2024 wieder über Streitkräfte verfügen wird, die den russischen Kräften in etwa ebenbürtig sind. Weiter müssten die Ukraine und der Westen darauf setzen, dass sie in einem Abnutzungskrieg durchhalten können, bis Russland kriegsmüde wird. Die Chancen darauf stehen derzeit schlecht.

Ich komme nun zum Eingangsthema zurück, bei dem sich ebenfalls die Frage stellt, was man tun sollte. Die öffentliche Diskussion in westlichen Ländern ist von Wunschdenken geprägt. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen sind zumeist Symbolpolitik. Solche Symbolpolitik erzeugt Kosten, führt aber zu keinem Nutzen. Eine vernünftige Politik kann man nur auf der Basis einer vernünftigen öffentlichen Diskussion entwickeln, was wiederum erfordert, dass man den Realitäten ins Auge sieht. Die Medien müssen lernen, wieder diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die bereit zum einem Blick in die Augen der Realität sind.

Nachtrag vom 4. November 2023

Von mir unbemerkt hatte das ZDF am 6. Oktober einen Bericht über ein weiteres Gespräch mit dem «Militärexperten» Keupp veröffentlicht, der meine Eingangsbemerkungen in diesem Blogbeitrag bestätigt. In der Box im ZDF-Beitrag steht: «Die ETH Zürich ist ein international anerkanntes Kompetenzzentrum für Militärwissenschaften.» Das trifft zu. Wie weiter oben dargelegt, kann man daraus jedoch nicht auf die Kompetenz von Keupp in militärischen Fragen schließen.


74 Antworten zu “Der Oktoberkollaps fand nicht statt”

  1. Raetsel geloest.

    Hatte mich schon gewundert, warum Sie vor Tagen einen neuen Blog-Beitrag mitten in der Woche (Ausnahme Israel, aber die sind immer eine Ausnahme) und fuer ganz frueh ankuendigen.

    Schau› ich mir die Ueberschrift an, ist alles klar. (Besser waere gewesen Punkt 0:00 Uhr, aber Schlaf ist wichtiger.)

    Leider wird mir die Zeit knapp, so dass ich den erst ab Mitternacht lesen kann. (Mister Van Quaquebeke und die zahlreichen Links ebenso.)

    Nichts fuer ungut. Schliessl. gibt’s ja auch noch andere Leser.

  2. «Ich fand sie damals so irrwitzig, dass ich das Interview in meinem Terminkalender für Ende Oktober als Wiedervorlage ablegte.»

    Hmm, hatten Sie auch in einem Kommentar geschrieben.

    Einen Terminkalender habe ich zwar nicht (wozu auch – die paar wirkl. wichtigen kann ich mir auch merken), aber ich kann mich an ein Interview von dem erinnern, dass ich bei «Stimmen der Vernunft» verlinkt hatte (vermutlich auch damals nur den Anriss gelesen):

    https://www.welt.de/politik/ausland/plus245280426/Ukraine-Krieg-Dann-bricht-die-Donbass-Front-zusammen-und-der-Krieg-ist-vorbei.html

    Ansonsten Danke, dass Sie den mal unter die Lupe genommen haben. Hab› den uebrigens immer gern gelesen, weil mich diese Selbstsicherheit, mit dem er den Kriegsverlauf vorhersagte, immer wieder erstaunte.

  3. https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-november-1-2023-0

    Die wesentlichste Bewegung im Ukraine-Krieg seit Monaten wird beim ISW referiert. Sie betrifft die Einschätzung des Charakters des Krieges durch den ukrainischen Oberbefehlhaber Valerii Zaluzhnyi.

    Zaluzhnyi referiert, die Auseinandersetzung habe die Form eines Stellungskriegs angenommen.

    «Zaluzhnyi betonte nachdrücklich, dass die derzeitige Lage des Krieges weitgehend auf die militärische Gleichheit zwischen den ukrainischen und den russischen Streitkräften zurückzuführen ist, und stellte fest, dass ein tiefes und dramatisches Eindringen der ukrainischen Streitkräfte in die russischen Linien bei dem derzeitigen relativen technologischen und taktischen Gleichgewicht zwischen den ukrainischen und den russischen Streitkräften wahrscheinlich nicht möglich ist. In seinem Interview mit The Economist räumte Zaluzhnyi ein, dass das technologische und taktische Gleichgewicht zwischen den gegnerischen Streitkräften in der Ukraine zu einer «Pattsituation» ähnlich wie im Ersten Weltkrieg geführt hat.»

    Das Original-Interview des «Economist» mit Zaluzhnyi befindet sich hinter einer Bezahlschranke. Allerdings ist Zaluzhnyis vollständiges Essay frei zugänglich.

    Natürlich behauptet er dann im Weiteren, man könne das in der Zukunft ändern. Im Wesentlichen ist es aber das Eingeständnis dessen, was sich seit Monaten andeutet: Die Ukraine wird ihre Kriegsziele nicht annähernd erreichen können.

    • Keupp ist nun also Experte für Schlammperioden geworden. Weiter unten wird er dann allerdings doch wieder als «ETZ-Zürich-Militärexperte» bezeichnet. Ich finde es nett, dass die Journalistin Bettina Menzel wenigstens den Namen meiner Hochschule falsch schreibt.

      Die «Frankfurter Rundschau» liefert hier schönes Anschauungsmaterial für meine Sätze: «Wenn sich erwiesen hat, dass die Aussage falsch war, ist sie schon lange vergessen. Man kann nun die gleiche oder eine ähnliche Person erneut befragen und das Spiel wiederholen.»

      In diesem Fall wiederholt Keupp die gleiche Vorhersage zeitverschoben, die sich gerade als falsch erwiesen hat. Von Selbstreflektion keine Spur.

      Vielleicht sollte man Keupp zum Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte machen. Er sieht die Dinge ganz anders als Saluschnyj und das dürfte den Wünschen von Selenskyj sehr entgegenkommen.

      • «…wenigstens den Namen meiner Hochschule falsch schreibt.»

        Ja, da sind Sie fein raus. Als Aussenstehender denkt man ja, man laeuft sich dort jeden Tag uebern Weg und trifft sich zum Mittagessen und gemuetlichen Plausch in der Mensa. (Und die Lehrenden leben da alle in ihrer eigenen Welt.)

        «Von Selbstreflektion keine Spur.»

        Fairerweise muss ich sagen, dass Interview wurde vor einem Monat gefuehrt. Weiss nicht, ob man inzwischen von so einem «Experten» Abstand nimmt.

        Wenn ich der Interviewer gewesen waere, haette ich da jedenfalls als erstes ihn mit der Aussage vom Oktoberkollaps konfrontiert bzw. gefragt, in wieviel Tagen denn nun damit zu rechnen ist.

        • «Wenn ich der Interviewer gewesen waere, haette ich da jedenfalls als erstes ihn mit der Aussage vom Oktoberkollaps konfrontiert bzw. gefragt, in wieviel Tagen denn nun damit zu rechnen ist.»

          Ich bin nicht sicher, ob Bettina Menzel über das ZFD-Interview Bescheid wusste. Sie hätte aber zu ihrem Gesprächspartner recherchieren sollen und ihr hätte auch Anfang Oktober auffallen müssen, dass Russland diesen Krieg im Oktober nicht mehr verlieren wird.

          Der eigentliche Skandal ist das Gespräch des ZDF mit Keupp am 6. Oktober, auf das sich Menzel bezieht. Die ZDF-Redaktion muss wissen, wie unseriös Keupp ist, sie hat seinen Unsinn im April selbst verbreitet. Beim ZDF zeichnet niemand mit dem eigenen Namen. Das wäre sonst eine Nominierung für den Schnitzler-Preis wert gewesen. Ich habe am Schluss des Blogbeitrags einen Nachtrag zu diesem ZFD-Beitrag angefügt.

          • Urspruenglich wollte ich auch das ZDF-Gespraech verlinken, dass ich zuerst gelesen hatte. (Eigentlicher Grund war, dass ich mal gucken wollte, ob er sich in der Zwischenzeit nochmal geaeussert hat.) Dann sah ich aber den Link mit Namen «schlammperiode-experte-moment…»

            War ’ne unglaublich schwere Entscheidung zwischen Blechhaufen und Schlammperiode-Experte zu entscheiden.

            (Ich nehme an der Nachtrag war erst nach 1:25 Uhr, sonst sehe mein Link der sich auf das gleiche Interview bezieht, etwas doof aus.)

            • Der Nachtrag ist erst von heute.

              «Schlammperiode» und «Experte» sind übrigens bei der «Frankfurter Rundschau» nur Schlagwörter, aus denen der Titel der Webseite aus Gründen der Suchmaschinenoptimierung zusammengesetzt ist. Die Komik des Titels der Webseite ist unfreiwillig, aber passend. Tatsächlich kommt der Begriff «Schlammperiode» im Beitrag dann gar nicht vor.

              • Ja ich weiss. Ich dachte nur, Schlamm(perioden)-Experte charakterisiert diesen Typen noch besser als «Woche des russ. Blechhaufens».

                Zum Nachtrag: Konnte ja gut moeglich gewesen sein, dass ich den gestern Nacht uebersehen hatte, falls Sie den – sagen wir mal – schon 22.25 Uhr eingestellt und angesichts des baldigen Ende des Tages das Datum dann halt aufgerundet hatten. Dann haetten Sie natuerlich denken koennen, dass die (also ich) das schon gelesen haette und sich nur wichtig tun wollte.

                • Nee, ich habe einfach bei der «Frankfurter Rundschau» noch etwas nachgelesen und da war mir das Link zum «ZDF»-Beitrag ins Auge gefallen.

                  «Schlamm-Perioden»-Experte ist wirklich besser. Was Medienkritik angeht, ist aber die «Frankfurter Rundschau» nur bedingt schuldig. Das ZDF ist schuldig – oder sollte ich eher «schludrig» sagen?

                  Ich glaube, beim ZDF liegt das Problem tiefer als nur im institutionellen Gedächtnis. Dort sind viele bereit, jeden zu Wort kommen zu lassen, der die eigene Meinung der Redaktion bestätigt. Das gilt auch dann, wenn sich die Person mit vorherigen Aeusserungen disqualifiziert hatte. Im ZDF gibt es zu viele Leute, die den Unterschied zwischen Propaganda und Journalismus nicht kennen oder nicht einmal bereit sind, überhaupt anzuerkennen, dass es da einen Unterschied gibt.

    • Ja, die Russen haben’s da auf die Kokerei abgesehen.

      «Die russischen Streitkräfte wollen dem Bürgermeister der ukrainischen Stadt Awdijiwka zufolge die dortige große Kokerei in ihre Gewalt bringen. «Sie haben ein neues Ziel, und das ist die Kokerei. Sie wollen sie erobern. Punkt», sagt der Bürgermeister Witali Barabasch im Staatsfernsehen.» (ntv)

      • Das ist zu kurz gegriffen. Die Russen wollen die Kokerei als taktisches Ziel erorbern, um im weiteren Verlauf die ganze Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Letzteres sieht man deutlich am Umfang der Operation und am russischen Vorrücken südlich und nördlich der Stadt.

        Ob Awdijiwka in diesem Wonter oder im kommenden Frühjahr fallen wird, ist noch nicht abzuschätzen. Wenn die Ukraine sich, wie in Bachmut, für eine Verteidigung um jeden Preis entscheidet, wird dieser Schauplatz jedenfalls eine große Zahl ukrainiscer Truppen binden. Das wird dann auch zu hohen ukrainischen und russischen Verlusten führen, welche die kleinere Ukraine schwerer wird ersetzen können.

  4. Der Westen hat sich einfach übdedehnt und hat zuviele Fronten eröffnet. Ich glaube, mit Geld, Waffen oder Druck wird er keinen Deckel mehr drauf bekommen.
    Zur Zeit sieht es so aus, als ob eine Periode zu Ende geht. Die ehemals Verschmähten muß er nun umwerben, manche Partner vor den Kopf stoßen, Widersprüche kann man nicht mehr kaschieren. Deutschland möchte die Fahne tragen und vergißt – der Fahnenträger wird als erster erschossen.
    V.d. Leyen ist gerade wegen dem EU Beitritt in der Ukraine. Macht Hoffnungen und vergißt die Folgen.
    Man hat scheinbar berechnet, daß die Ukraine innerhalb 7 Jahren 186 Milliarden Subventionen erhalten würden.
    Wie es sich liest, wohl nur für den Agrarsektor.

    https://www.wiwo.de/politik/ausland/gespraeche-ueber-eu-erweiterung-von-der-leyen-zu-besuch-in-kiew-/29482110.html

    Wenn man alles zusammenzählt, Staatshaushalt, Subventionen, Militär, Aufbau Infrastruktur, Flüchtlinge – das kann nicht nur ein finanzielles Fiasko werden sondern auch viel Unmut bei anderen Ländern. Wie man in Aussicht stellte, Nettoempfänger werden wohl zu Zahlern und Letztere müssen höhere Beiträge schultern. Bisher stemmt Deutschland fast 25% des Budgets.
    Eingezahlt wurden 2022 ca. 31 Milliarden.

    Das sind 25 Milliarden mehr als zurück flossen.
    https://www.tagesschau.de/ausland/europa/deutschland-eu-haushalt-101.html

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155196/umfrage/die-zehn-wichtigsten-beitragszahler-im-eu-haushalt-2010/

    Wir haben nun nicht nur die Energiewende auf dem Tisch, sondern auch zig Milliarden für die Bundeswehr/jährlich, Rentnerzuwachs, und einiges andere.
    Das ergibt Sprengstoff innerhalb der EU für viele Jahre. Die FDP denkt schon an Kürzungen der Sozialausgaben und das ist ein «Weites Feld». Weniger Geld an mehr Empfänger verteilen, gute Idee.
    Das kratzt an verschiedenen Fronten. Die hohe Anzahl an Menschen die in nächster Zeit in Rente gehen, die Migration, die Flüchtlinge, die Krankenkassen usw.
    Man unterschätzt die zukünftige Entwicklung grandios. Das wäre nur mit einem enormen Wirtschaftswunder zu bewältigen, nur sind wir davon weit entfernt und Wachstum ist teilweise ja auch gar nicht erwünscht in Bezug auf die Umweltproblematik. Deutschland ist aktuell das einzige Land in der EU das beim Wirtschaftswachstum ein Minus zu verzeichnen hat. Denkbar schlechte Voraussetzungen für die anstehenden Vorhaben. Das kann sich natürlich wieder ändern, aber die Dimensionen über die man spricht sind ohne gravierende Änderungen nicht zu bewältigen.

    • Der Westen hat sich selbst überdehnt bzw. bei sinkendem Anteil an der Wirtschaftsleistung und Bevölkerung der Welt nicht begriffen, dass er sich zurücknehmen muss. Die Trump-Administration hatte das schon gesehen, aber Biden hat den zaghaften ersten Schritten in die richtige Richtung keine weiteren mehr folgen lassen. Er hat sich stattdessen auf den Ukraine-Krieg eingelassen, was die Geschichtsbücher wohl einmal als kapitalen Fehler verzeichnen werden.

      • Ist nur die Frage, wie man Politikern, aber auch der Bevölkerung beibringt, daß der Westen anfangen muß eine neue Rolle zu spielen.
        Es wird bei Weitem komplizierter, von oben herab geht schon länger nicht mehr.
        Wir brauchen eine neue Basis, denn die Ausdehnung bringt auch alle Probleme des Gebiets in eine Organisation die dadurch handlungsunfähig wird. Damit meine ich nicht Abschottung sondern eine neue Art der Zusammenarbeit. Weniger Schulmeistern, denn das ging in die Hose.

        • Die Bevölkerung ist, glaube ich, kein Problem. Die wenigsten glauben, Deutschland müsse am Hindukusch oder in Mali verteidigt werden. Es glauben nicht einmal sehr viele, dass es in Awdijiwka verteidigt werden muss. Was sage ich da? Kaum jemand weiß, wo Awdijiwka liegt und dass es derzeit der am stärksten umkämpfte Ort in der Ukraine ist.

          • Militärisch könnte es so sein, auch wenn sich zur Zeit die Mehrheit noch für Waffen- und sonstige Lieferungen ausspricht.
            Bei «Bevölkerung» meinte ich einen noch umfassenderen Wechsel bis hinein in Wirtschaft, Tourismus, Waren, usw. und natürlich die psychologische Komponente.
            Das alles haben, zu jeder Zeit, dazu günstig und den westlichen Machtapparat im Rücken wird sich abschwächen.
            Es dauert immer etwas bis das Sinken des Lebensstandards bemerkt wird, man kommt von oben und zehrt eine zeitlang von Rücklagen oder vorhandener Bausubstanz.
            Der Aufstieg und das neue Selbstbewußtsein einiger Länder wird für Wirbel sorgen.

  5. Die Idee hatten wir schon mal in Deutschland. Jetzt auch von anderswo:

    «Der frühere Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen schlägt einen Beitritt der Ukraine zum transatlantischen Militärbündnis ohne die von Russland besetzten Gebiete vor. Indem man die besetzten Gebiete im Süden und Osten des Landes außen vor ließe, würde das Risiko eines offenen Konflikts zwischen Russland und der Nato gesenkt, sagte der Däne dem britischen «Guardian».

    Der «Guardian» veröffentlichte am Samstag Auszüge des Interviews mit Rasmussen, der von 2009 bis 2014 Nato-Generalsekretär war. Demnach sagte der 70-Jährige, ein Teilbeitritt der Ukraine und die damit verbundene Beistandsverpflichtung der Bündnispartner «würde Russland von Angriffen auf ukrainisches Gebiet innerhalb der Nato abschrecken» und den ukrainischen Streitkräften so ermöglichen, sich auf Frontkämpfe abseits des Kernlands zu konzentrieren. Moskau müsse verstehen, dass die Ukraine nicht von einem Bündnisbeitritt abzuhalten sei.»

    Quelle: zdf.de

    Und Jerome nicht vergessen. Der hat neue Karten. (Aber nur, falls Sie da was neues erkennen.)

  6. Nun auch eine kritische Analyse auf tagesschau.de (oder geht es da nur um einen Aufruf zu mehr Waffenlieferungen?):

    https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-offensive-perspektiven-100.html

    Dann noch der nicht unbekannte «Militaerexperte» Markus Reisner:

    «Der Krieg befindet sich in einer Pattsituation»

    https://www.srf.ch/news/international/krieg-in-der-ukraine-militaerexperte-der-krieg-befindet-sich-in-einer-pattsituation

    • Beide Beiträge umgehen das eigentliche Problem und versuchen, weiterhin zu behaupten, die Ukraine könne jemals wieder alle besetzten Gebiet befreien. Das kann sie nicht, auch mit der realistischerweise größtmöglichen westlichen Unterstützung nicht.

      Bei Reisner wird das am Deutlichsten. Der empfiehlt, die Ukraine solle über den Winter und im nächsten Jahr genau das nochj einmal wiederholen, was im vergangenen Winter und in diesem Sommer gescheitert ist. Er erklärt nicht, was diesmal anders sein sollte.

      Ich kann erklären, was diesmal anders sein wird. Weniger hohe Moral in den ukrainischen Streitkräften, physisch schlechter geeignete Soldaten, weniger Munition, dünnere Luftverteidigung und noch besser ausgebaute russische Verteidigungslinien.

      Die Idee, die Ukraine solle sich 2024 noch einmal an einer Großoffensive versuchen, ist, mit Verlaub, h*rnr*ss*g.

  7. faz.net interpretiert den Lagebericht des ukrainischen Generalstabs von gestern Abend dahingehend, dass der Generalstab die Initiative «inzwischen weitgehend bei den russischen Streitkräften verortet». Das deckt sich mit der Einschätzung, zu der ich vor etwa einer Woche anhand der ISW-Berichte gekommen bin.

    Die Propagandaabteilung des britischen Verteidigungsministeriums erwartet laut faz.net im Winter keine größeren Frontverschiebungen. Da wäre ich etwas weniger sicher. Die russischen Streitkräfte dringen in Awdijiwka und Umgebung langsam aber stetig vor. Ein Fall von Awdijiwka wäre eine größere Frontverschiebung von strategischer und psychologischer Bedeutung.

    • Jerome schreibt zu Avdiivka Front:

      «Der ukrainische Generalstab meldete einen abgewehrten russischen Angriff östlich von Nowobachmitiwka, was möglicherweise auf einen ukrainischen Vorstoß hindeutet, da es östlich der Siedlung keine geolokalisierten ukrainischen Stellungen gibt.»

      und zu Avdiivka-City:

      «Die 47th Mechanized Brigade nahm den Feind vor der eigentlichen Kokerei ins Visier.
      Eine Drohne der 110th Mechanized Brigade nahm russische Soldaten nördlich der Kokerei ins Visier und deckte einen russischen Vorstoß auf.
      Die russischen Streitkräfte rückten in Promka vor und erreichten den nordwestlichen Rand.
      Ukrainische Soldaten halten den westlichen Teil von Promka unter Kontrolle.»

      Und dann hat er noch eine neue Karte vom Dnipro (Dnepr) eingefuehrt:

      «Aufgrund anhaltender Angriffe im Gebiet zwischen Kherson und Nova Kakhovka wurde die Left Bank Front eingeführt und die Kalanchak Front zurückgezogen.»

      • Diesmal scheinen Jerome Dinge entgangen zu sein, die das ISW in seinem Tagesbericht von gestern Abend erwähnt.

        «Aus den am 18. November veröffentlichten geolokalisierten Aufnahmen geht hervor, dass die russischen Streitkräfte nördlich der Kokerei von Awdijiwka und in der Industriezone am südöstlichen Stadtrand von Awdijiwka geringfügig vorgerückt sind.»

        Allerdings sind Promka und der südöstliche Stadtrand von Awdijiwka dasselbe. In diesem Fall sprechen militaryland.net und ISW wohl mit verschiedenen Worten über die gleichen Aufnahmen.

        Aber (ISW):

        «Aus den am 17. November veröffentlichten geolokalisierten Aufnahmen geht hervor, dass die russischen Streitkräfte im nordwestlichen Teil von Marinka begrenzte Gebietsgewinne erzielt haben.»

        Vergleicht man übrigens jeweils mit den Verlautbarungen des ukrainischen Generalstabs, so tauchen dort fast durchgängig nur abgewehrte russische Angriffe und nicht das nachweisliche (geringfügige) russische Vordringen auf.

        • Zur Entschuldigung fuer Jerome. Jerome hat gestern (angeblich – hab› geguckt, da war Mitternacht immer noch nichts da) 22:00 OEZ seine neuesten Daten eingestellt. Der Bericht von ISW ist irgendwann gestern abend gewesen. Vielleicht lagen ihm zu diesem Vorgang die geolokalisierten Aufnahmen noch nicht vor.

  8. Die Ukraine hat an Zugkraft gerade verloren. Merkt man deutlich an dortigen Reaktionen. Die ganze Welt ist jetzt nicht durch den Ukraine-Krieg bedroht, sondern durch den in Nah-Ost. Wie der israelische Präsident sinngemäß meinte. Die Argumentation hat er scheinbar aus der Ukraine übernommen.
    Wenns an den Rändern brodelt, brechen im Kern gerne Zerfallserscheinungen auf. Sobald sich Resignation breitmacht ist der Laden erledigt. Anzeichen sieht man bereits in USA, EU und im Zusammenspiel der Nationen.
    Man kann nur versuchen, die Konfliktherde so schnell wie möglich zu beruhigen. Insofern ist auch mit falschem Frieden zu rechnen, Hauptsache der eigene Laden stabilisiert sich. Zum vorherigen Zustand kann man nicht mehr zurückkommen, dazu sind zuviele Linien überschritten worden.
    Vorhaben oder bereits beschrittene Wege werden wohl gekappt oder verändert werden.
    Wenn nicht einige Problemfelder vom Tisch kommen, werden die Gesellschaften ebenso wie die Politik endgültig überfordert. Manche sagen auch, sie sind es schon. Das ist relativ, schlimmer geht immer.
    Alleine die Rüstung wird viele Hundert Milliarden verschlingen, weltweit, entsprechend wird es soziale Verwerfungen geben mit entsprechenden Unruhen. Damit das durchsetzbar wird, muß eine permanente Kriegsgefahr heraufbeschworen werden. Das wird auch die Menschen verändern.
    In der Ukraine ist es nicht verlaufen wie gedacht, man möchte die Angelegenheit wohl eher loswerden. Im Nahen Osten entstehen neue Probleme die ihre Kreise bis zu uns ziehen.
    Was wurde gewonnen? Weniger als nichts.
    Ein neues Thema wird kommen um die alten aus dem Kopf zu verbannen.

    • Biden ist durch die beiden Kriege in einer Zwickmühle. Große Teile der Republikanischen Partei wollen die Ukraine-Unterstützung nicht mehr und können diese im Repräsentantenhaus verhindern. Große Teile der Basis der Demokratischen Partei, die Biden im Wahlkampf braucht, sind gegen eine Unterstützung Israels, mindestens so lange Israel auf diese Art vorgeht. Biden kann nicht an «beiden Fronten» kämpfen, wenn er nicht zerrieben werden will.

      Er muss eines der Probleme eliminieren. Die USA werden versuchen, der EU einen größeren Teil der Ukraine-Unterstützung aufzubürden, möglichst die gesamte Ukraine-Unterstützung. Da die EU aber nicht genügend Produktionskapazitäten hat, müsste sie in den USA Waffen und Munition kaufen, um sie an die Ukraine weiterzuverschenken. Das dürfte erhebliche Diskussionen in der EU auslösen, auch, weil es ein Fass ohne Boden und ein Krieg ohne Siegesaussicht ist.

  9. Nach Meldungen soll es eine Zusammenarbeit zwischen China und Russland geben um einen Tunnel unter Wasser zur Krim zu bauen.
    Dieser wäre je nach Route ca. 18 km lang.
    Eine Reaktion auf die Bombardierungen der Kertsch-Brücke.
    Sicher ein gewaltiges Unterfangen, aber China hat Erfahrung mit großen Bauten und arbeitet schneller als man es in Europa gewohnt ist.

    Die Arbeitsweise ist unterschiedlich, das macht es unter anderem aus. Hier arbeitet eine Firma mit 50 Leuten an 10 Baustellen. Ab und zu sieht man jemanden.
    China wirft -soweit nötig- alle Ressourcen auf ein Bauvorhaben, dann das nächste. Ein gutes Beispiel war der Bau eines Krankenhauses innerhalb einer Woche in einer Notsituation. Da arbeiteten zig Bagger gleichzeitig um über Nacht ein Gelände zu planieren und Hunderte Leute zur selben Zeit.

    Fachkräftemangel ist nicht der Hinderungsgrund hier. Zu Zeiten des Auftragsmangels war es nicht anders.
    Insofern kann man schon von einem Gelingen des Vorhabens ausgehen.
    Ein Vorteil in Kriegszeiten wäre es, falls man mit einem längeren Kriegsverlauf rechnet. Ansonsten, wenn man davon ausgeht, die Krim bleibt bei Russland.

    Die Ukraine wird natürlich versuchen die Bauarbeiten zu stören, ob das gelingt wird man sehen.
    Es scheint so, als wurden die Gelegenheiten für Verhandlungen verpasst und es nur noch auf Sieg oder Niederlage hinausläuft. Ein Versagen der Diplomatie.

    • Natürlich bleibt die Krim bei Russland. Wenn alles extrem gut für die Ukraine und den Westen verläuft, kann die Ukraine in etwa das Territorium behalten, das sie derzeit kontrolliert. Viel mehr wird es sicher nicht, deutlich weniger kann es werden, wenn nicht bald eine rationale Betrachtung der Lage einsetzt.

      • Haben Sie Quellen bezüglich der Verluste? Die Ukraine gibt an, ca. 10.000 Zivilisten.
        Bei Soldaten schweigen sich beide Seiten natürlich aus.
        Es gibt immer wieder mal Schätzungen in der Presse. Für wie glaubhaft erscheinen sie Ihnen und was schätzen Sie? Ich weiß, das ist schwierig, aber von Ihrem Hintergrund aus gesehen, wie ist da das Gefühl?

        • faz.net gibt in einem Artikel an, dass derzeit 820’000 Ukrainer in den Streitkräften dienen, darunter auch die ganzen Wehrpflichtigen, die bereits vor dem Krieg zu ihrem Wehrdienst einberufen worden waren. Diskutiert wird jetzt, wenigstens diese Wehrpflichtigen nach Hause zu schicken (deren Angehörige gehen vermehrt auf die Straße). Dazu müssten aber erst andere Soldaten rekrutiert werden, «damit die Front nicht zusammenbricht». Das deutet darauf hin, dass die Ukraine Schwierigkeiten hat, neue Truppen zu mobilisieren.

          Eine weitere relevante Zahl ist, dass die Ukraine selbst zu Zeiten heftiger Kämpfe von mehr als 200 Toten auf der eigenen Seite pro Tag geredet hatte. Es muss auch einen Grund gegeben haben, warum die groß angekündigte Gegenoffensive nach den (bekannt hohen) Verlusten in den ersten zwei Wochen auf eine sehr viel niedrigere Intensität reduziert wurde.

          Insgesamt schätze ich, dass auf der ukrainischen Seite in bisher 639 Tagen Krieg um die 100’000 Soldaten ihr Leben verloren haben könnten. Die Schätzung vom Mark MIlley im November 2022 lag bereits bei etwa 70’000. Die auch für die Ukraine verlustreichen Kämpfe um Bachmut und die versuchte Gegenoffensive kamen danach.

          Die beste Quelle zu russischen Verlusten ist wohl mediazona, die aus öffentlichen Quellen belegte OPfer zählen. Deren Zahl ist gegenwärtig bei 37’052. Mediazona und deren Partner Meduza gehen von einer Dunkelziffer aus und haben die tatsächliche Zahl Ende Mai auf etwa 47’000 geschätzt. Da sind die Verluste an Kämpfern der «Volksrepubliken» (eigentlich ja Ukrainer) noch nicht eingerechnet.

          Ich denke, bei Russland muss man etwa von 50’000 – 60’000 toten Soldaten ausgehen. Das entspricht etwa den gesamten Verlusten der USA im Vietnamkrieg und liegt deutlich über den Verlusten der Roten Armee im Afganistankrieg 1979-1989.

          Insgesamt muss man davon ausgehen, dass die Verluste beider Seiten in einer ähnlichen Größenordnung liegen. Die USA schätzen gern «gleich hoch», aber das dürfte Euphemismus sein. Die russische Seite hat und verwendet mehr Feuerkraft.

          Selbst gleich hohe Zahlen sind für die Ukraine problematisch, weil sie ein um mindestens einen Faktor von drei geringeres Mobilisierungspotential hat. Der Faktor drei ist Saluschnyjs Schätzung. Tatsächlich ist das Verhältnis der Bevölkerungszahlen höher als vier.

          • «Der Faktor drei ist Saluschnyjs Schätzung.»

            Wenn man die Gesamtbevoelkerungen vergleicht, ist der Faktor knapp 3,4. Nur Maenner -aehnlich.

            https://countrymeters.info/de/Ukraine
            https://countrymeters.info/de/Russian_Federation

            Aber vielleicht habe ich Pech mit der Quelle und die sind nicht auf dem Laufenden. (Bei «statista» steht schon bei 2022 nur 39,7 Mio., was aber auch nur einen Faktor von rund 3,6 ergeben wuerde.)

          • Nach Ihrer Einschätzung liegt die Propaganda demnach weit höher als ich es vermutet hätte.
            Trotzdem hohe Zahlen und der Krieg ist noch nicht zu Ende. Man sollte auf allen Seiten überlegen, wie weit man es treiben möchte. Immerhin kommen Verletzte noch dazu.
            Seit der Vorgeschichte ein völlig «sinnloser» Krieg.
            Gerade werden wieder Sturmgewehre, 11.000 plus Millionen Schuß Munition angekündigt. Als ob man den Krieg weiter aufrecht erhalten will. Das bedeutet auch immer weitere Tote und Verletzte. So kommt man nicht weiter.
            Vielleicht hat der bisherige Kriegsverlauf einen gewissen Einfluß auf einen potentiellen heißen Krieg mit China.
            Sanktionen, Waffen…man ist nicht sehr weit gekommen. Gegen China könnte das noch schwieriger werden. Das müßte den Warnern Auftrieb verschaffen.

            • Ja, das sind die Angaben vom ukrainischen Generalstab.

              Ich frage mich da sowieso, wie die das praktisch auf den Mann genau angeben koennen? Schicken die da jeden Abend Zaehlteams auf’s Schlachtfeld, die die bereits registrierten dann auch noch markieren (zur Vermeidung von Doppelzaehlung)? Nehme mal nicht an, dass die Russen denen die Zahlen taeglich vermitteln, aber selbst wenn waere das dann mit einer gewissen Ungenauigkeit verbunden.

              • Die Russen betreiben ihre diesbezügliche Propaganda etwas geschickter – sie geben gleich zu dass dei Zahlen übertrieben sind.

                Aus dem neuesten Briefing des russischen Verteidigungsministeriums «über den Verlauf der militärischen Sonderaktion» (das schreiben die immer noch so):

                «Der Feind verlor bis zu 55 ukrainische Soldaten und zwei Pickup-Trucks.»

                «Bis zu 150 ukrainische Soldaten, zwei gepanzerte Kampffahrzeuge, zwei Kraftfahrzeuge, eine Haubitze vom Typ D-20 sowie eine Panzerartillerie vom Typ Gvozdika wurden eliminiert.»

                «In Richtung Cherson wurden bis zu 35 ukrainische Soldaten getötet und verwundet und zwei Kraftfahrzeuge durch Beschuss neutralisiert.»

                Bis zu…, bis zu…, bis zu… – so geht das jeden Tag. Man redet gern von hohen gegnerischen Verlusten, will aber nicht direkt lügen (wie der ukrainische Generalstab es tut).

                Wenn allerdings das Folgende stimmen sollte (ohne «bis zu»), war es ein schlechter Tag für die ukrainische Luftwaffe:

                «Russische Luftabwehrmittel haben zwei MiG-29-Flugzeuge der ukrainischen Luftstreitkräfte in der Nähe von Pershotravensk und Braginovka (Gebiet Dnepropetrovsk) abgeschossen.»

                Die Slowakei hatte noch 10 einsatzfähige MiG-29 an die Ukraine geliefert (und drei mit kaputten Triebwerken als Ersatzteilspender), Polen will insgesamt 28 liefern (es ist unklar, wie viele davon einsatzfähig sind). Die Ukraine selbst hatte im Herbst 2018 noch 21 einsatzfähige MiG-29. Da der Bestand mal viel größer war, dürften sie noch einige mehr instand gesetzt haben, aber zwei Verluste an einem Tag sind angesichts der vorhandenen Zahl herb.

                • «…militärischen Sonderaktion» (das schreiben die immer noch so)»

                  Nun ja, ein weiterer Fall von Neusprech, wuerde ich sagen. Ich daechte, auch von israelischer Seite haette ich vor kurzem «Spezialoperation» vernommen.

                  Uebrigens laesst der Spezialexperte Keupp (der bei Wiki auch als Kuenstler bezeichnet wird) bei X abstimmen:

                  «liebe follower: nehmen wir an, ein großer deutscher fernsehsender möchte eine regelmäßige fernsehsendung über geopolitik und globale konflikte mit mir machen. welche inhalte würden sie am liebsten sehen?» (Anscheinend sind Sie nicht gross genug.)

                  Vielleicht noch ’ne differenzierte Einschaetzung zur Lage in der Ukraine vom Freitag (zum Nachhoeren:

                  https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-situation-an-der-front-gespraech-mit-militaerexperte-marcus-keupp-dlf-a677e45a-100.html

                    • Ja. Anscheinend hat er seine groesste Fangemeinde in Deutschland und da vermutlich nicht bei den Privatsendern.

                      Eins haben Sie uebrigens gemein. Beide deutsche Staatsbuerger, die irgendwann in den nuller Jahren in die Schweiz ausgewandert sind.

                    • Wenn ich behaupten würde, ich sei Experte für Kernfusionskraftwerke, weil ich mal Kernmagnetresonanz gemacht habe, hätten wir noch mehr gemeinsam.

                  • «Vielleicht noch ’ne differenzierte Einschaetzung zur Lage in der Ukraine vom Freitag (zum Nachhoeren)»

                    Wenn es nicht um Krieg ginge, könnte das als Realsatire gelten. Da redet jemand über die Front in der Ukraine, der nicht dort war und zumindest bei Awdijiwka nicht einmal die Kartenlage kennt. Nach dem Experten Keupp sind die Russen dort seit Beginn der Offensive gegen die Stadt nur 200 Meter vorgerückt. Das sehen Jerome und das ISW ein wenig anders.

                    Dann redet der Experte noch über die «Schlammperiode». Oder hätte ich die Anführungszeichen in dem Satz anders setzen sollen? Mir (der ich als Batteriechef bei einer Reserveübung tatsächlich mal mit einem russischen Geländewagen mit Allradantrieb im Schlamm steckengeblieben bin und von einem LKW mit Seilwinde herausgezogen werden musste) würde scheinen, dass das bei den kleinräumigen Infanterieangriffen, die seit Monaten die Regel sind, nicht gar so viel ausmacht. Das ISW schreibt auch nix über Schlammperiode.

                    Wenn ich mal an einem Montagmittag die Zeit finde, ziehe ich mir eine Vorlesung Militärökonomie I des Experten rein. Ist leider im Hauptgebäude, was hin und zurück noch eine halbe Stunde Busfahrt ausmacht. Vielleicht ist das doch Zeitverschwendung. Nächsten und übernächsten Montag ginge es eh nicht.

                    • Ja machen Sie das!!! Der wird auch noch in drei/vier Wochen referieren – oder ist da schon Weihnachten?

                      Vielleicht laesst er ja auch Fragen zu.

                      «Wenn der Zwerg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Zwerg kommen.» (Leicht ataptiert.)

                    • Meine einzige Chance wäre die letzte Vorlesung am 18. Dezember. Am 11. Dezember habe ich auch eine Terminkollision.

                      Fragen könnte ich nur, wenn er in der Vorlesung von seinem Thema abweicht und Politik macht. Hingehen würde ich eigentlich nur, um zu sehen, ob er in der Lehre kompetenter ist als im Fernsehen oder beim Deutschlandfunk.

                    • Hier stimmt was mit der Verschachtelung nicht – aber egal.

                      Na dann, tragen Sie sich mal den Termin dick in Ihren Kalender ein und sagen alle anderen Dates ab.

                    • Och schade, da war das vorhin wohl gar nicht ernst gemeint?

                      Wie auch immmer, ich faende das jedenfalls richtig cool.

                    • Doch, ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt. Sonst hätte ich ja auch gar nicht im Vorlesungsverzeichnis nachgesehen. Aber meine eigentliche Arbeit geht vor und Montagmittag im Hauptgebäude ist kompliziert.

                    • Ja, Ihre eigentliche Arbeit hat natuerlich Vorrang.

                      Vielleicht erinnere ich Sie ja nochmal kurz davor, so dass es wenigstens nicht an so banalen Dingen – wie «Ach, vergessen.» scheitert.

        • Neue Zahlen von russischen und ukrainischen Verlusten:

          «Beim Angriffskrieg gegen die Ukraine sind nach britischen Schätzungen bisher etwa 70.000 für Russland kämpfende Soldaten getötet worden. Dabei handele es sich um 50.000 reguläre Soldaten sowie 20.000 Mitglieder der Privatarmee Wagner, teilte das britische Verteidigungsministerium mit.Die Zahl der Verwundeten wird in London auf 180.000 bis 240.000 Soldaten und 40.000 Wagner-Kämpfer geschätzt. Genaue Angaben seien schwierig. Selbst in Russland sei die Gesamtzahl der Toten und Verwundeten wahrscheinlich nicht bekannt, da innerhalb des Militärs eine etablierte Kultur unehrlicher Berichterstattung herrsche. Zu ukrainischen Verlusten machte die Behörde keine Angaben.

          Nach NATO-Einschätzung von Ende November hat die Zahl der getöteten oder verwundeten russischen Soldaten die Marke von 300.000 überschritten. Im Sommer hatte die «New York Times» unter Berufung auf US-Regierungsbeamte von 120.000 getöteten und 170.000 bis 180.000 verwundeten russischen Soldaten berichtet. Für die Ukraine sprachen sie demnach von etwa 70.000 getöteten und 100.000 bis 120.000 verletzten Soldaten.» (Quelle: tagesschau.de)

            • Holen Sie mal lieber Ihre gute, alte sowjetische Glaskugel aus der Mottenkiste. Die ist event. genauer als das ganze neumod’sche westl. Zeugs.

              Schon allein die Zusammenstellung zweier Berichte von den Kollegen der ARD, macht das ganze Zahlenroulette extrem unglaubwuerdig fuer das werte Publikum.

              Die britischen Schaetzungen gehen von 70.000 Toten bis jetzt (also Ende November aus.) US-Regierungsbeamte schon im Sommer von 120.000. (Da waren die verlustreichen Kaempfe von Awdijiwka & Co. noch nicht mal dabei). Ganz zu schweigen von dem, was der ukrainische Generalstab jeden Tag der «FR» zur Verfuegung stellt: Stand heute – 333.840 Tote.

              Die Bergruendung fuer die event. falschen Zahlen ist aber excellent:

              «Selbst in Russland sei die Gesamtzahl der Toten und Verwundeten wahrscheinlich nicht bekannt, da innerhalb des Militärs eine etablierte Kultur unehrlicher Berichterstattung herrsche.»

              Das mag ja sein, aber die koennten sich da auch mal an die eigene Nase fassen.

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